Klavierquintett A-Dur, op. 5 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Antonin Dvorak

Klavierquintett A-Dur, op. 5

Quintett für Klavier und Streicher A-Dur, op. 5

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 4122

Satzbezeichnungen

1. Allegro ma non troppo

2. Andante ma sostenuto

3. Finale, allegro con brio

Erläuterungen

2005
ANTONIN DVORAK
Klavierquintett A-Dur, op. 5

Dass Antonin Dvorak zwei Klavierquintette in der gleichen Tonart, in A-Dur, geschrieben hat, ist kein Zufall, sondern eine Laune der Geschichte. Als ihn sein Verleger Fritz Simrock 1887 bat, sein altes Klavierquintett Opus 5 für eine Neuauflage zu überarbeiten, konnte Dvorak das Stück in seinem Notenschrank nicht finden und entschloss sich kurzerhand, ein neues Quintett in der gleichen Besetzung und Tonart zu komponieren. Einer anderen Version der Geschichte zufolge, fand er sehr wohl das alte Manuskript, fand es aber so unbefriedigend, dass er sich statt zur Revision zur Neukomposition entschloss. So kam es zu dem großen Quintett Opus 81, das seitdem den frühen Vorläufer nahezu vollständig aus den Konzertsälen verdrängt hat.

Bis auf wenige herausragende Interpreten – darunter Svjatoslav Richter und das Borodin Quartett – hat sich kaum eine Formation dieses Frühwerks angenommen, zumal erst 1962 der Musikwissenschaftler John Clapham eine kritische Ausgabe der Erstfassung vorlegte. Dvorak hatte das Stück nämlich 1877 um nahezu 200 Takte gekürzt, den ersten Satz seines zweiten Themas und das Adagio einiger besonders schöner Stellen beraubt. Gerade in der ungekürzten Urfassung aber offenbart es den durchaus rauen Charme des jungen Dvorak am Beginn seiner Kammermusik, eine von Brahmsschen Skrupeln noch freie Experimentierfreude – sehr wohl umständlicher als im reifen Gegenstück, aber nichtsdestoweniger einnehmend.

Das Allegro non troppo zu Beginn ist in seiner ausufernden Form ein typischer Kopfsatz des frühen Dvorak. Wie viele Sätze dieser Zeit kreist er um ein Motto, ein knappes Motiv, das den ganzen Satz über mit Beharrlichkeit festgehalten wird. In Oktaven stellt das Klavier dieses Motto zu Beginn vor: eine absteigende Viertonskala, deren punktierte Note am Schluss in einen großen Sextsprung aufwärts mündet – ein „echter Dvorak“. Während das Klavier eher die männlich-herbe Seite des Motivs offenbart, wird es vom Cello sogleich in seligen Gesang verwandelt, worauf zarte Echos des Klaviers antworten. Wogend und webend spinnen alle drei Instrumente das Motiv bis zum ersten Moll-Höhepunkt fort. Die rhythmische Bewegung verdämmert immer wieder und gewinnt erst in der Moll-Überleitung Kontur. Umso überraschender der Augenaufschlag der melodischen Schönheit, die uns im Seitenthema gegenübertritt: eine tänzerisch beschwingte Liedweise, die einiges Franz Schubert verdankt. In der zweiten Überleitung schieben sich wieder die dramatischen Momente in den Vordergrund, das Motto bildet die Schlussgruppe. Die Durchführung schwankt zwischen dramatischen Ausbrüchen und sostenuto-Idyllen, die sich sämtlich aus dem Motto speisen. Die Reprise mündet in eine Coda von triumphalem Gestus: Apotheose des Mottos in repetierten Rhythmen. Die Flächigkeit des gesamten Satzes wie viele seiner Details gemahnen an die Klaviertrios von Schubert, manchmal auch an dessen Forellenquintett, die entscheidenden Vorbilder des 31jährigen Dvorak, als er dieses Quintett im Sommer 1872 schrieb.

Im zweiten Satz mag ihm eher Beethoven vorgeschwebt haben, atmet er doch den sostenuto-Charakter so manchen Beethoven-Adagios. Das Klavier eröffnet in melancholischem Monolog, einem von Trugschlüssen durchsetzten Rezitativ. Die Violine greift das Thema in tiefer Lage auf, alle drei spinnen es in wehmütigem Moll fort. Kurze Soli und ein Terzen-Sexten-Gesang der Streicher steigern langsam den rhythmischen Fluss, bevor der rezitativische Beginn wiederkehrt. Im Mittelteil schlägt das Cello eine insgesamt fließendere Bewegung an: auf das Rezitativ folgt gleichsam die Arie. Es ist ein zwischen Glücksgefühl und Wehmut schwankender Gesang, dessen sehnsüchtige Seite die Streicher in einem Idyll in hoher Lage offenbaren. Unter etlichen kleinen Stimmungsschwankungen und in eigenwilligen Klangprägungen hat Dvorak das Gesangsthema in den folgenden Abschnitten immer wieder neu beleuchtet – so, als könne er sich daran nicht sattsingen. Einwürfe von Cello und Klavier lassen die Reprise erahnen: das Klavier-Rezitativ kehrt zurück, im Tonfall einer wehmütigen Erinnerung. Gefühliger hat auch der reife Dvorak nicht komponiert, allenfalls knapper und weniger seinen wechselnden Stimmungen folgend.

Erregtes Tremolo und irritierende Synkopen eröffnen das Finale, das zunächst wie eine Art Gespenster-Scherzo klingt. Ein freundliches Durthema verdrängt die zweilichtige Stimmung nur vorübergehend. Der Duktus bleibt kämpferisch und rhythmisch unruhig bis zerrissen. Auch das robuste, vom Cello angestimmte Seitenthema lässt Gedanken an einen Kehraus nur sozusagen unter Vorbehalt aufkommen. In seiner Doppelgesichtigkeit ist es eines der ungewöhnlichsten Dvorakfinali. Erst ganz am Ende triumphiert das Seitenthema und mit ihm emphatischer Volkston – eine böhmische Apotheose.

Karl Böhmer