Nationallied, op. 73,1 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Antonin Dvorak

Nationallied, op. 73,1

Nationallied, op. 73,1

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 4170

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

2005
ANTONIN DVORAK
Lieder und Arien

Die erste Programmhälfte bleibt Dvorak überlassen. Wir hören Ausschnitte aus den Zyklen Liebeslieder, Biblische Lieder und Zigeunerlieder sowie einzelne Nummern aus dem Stabat Mater und Rusalka, die auch noch im zweiten Teil fortgesetzt werden.

Lieder einer unglücklichen Liebe standen am Anfang von Dvoraks Liedschaffen: die Cypressen Opus 2, in denen der 24jährige die unerwiderte Liebe zu der Goldschmieds-tochter Josefa Cermak verarbeitete. (Wie im Falle Mozarts wurde später die jüngere Schwester der Angebeteten des Komponisten Ehefrau.) Einzelne Nummern aus jenem frühen Dokument einer Amour fou hat Dvorak 1888, mehr als zwei Jahrzehnte später, zu den Liedesliedern Opus 83 verarbeitet. Auf den ersten beiden Nummern, die wir hören, lastet schicksalsschwer die Bürde der unerfüllbaren Liebe: O nasi lasce („Wird doch die Liebe nie zu frohem Ziel uns leiten“) und V tak mnohem („Tot ist’s in mancher Menschenbrust“).

Das Stabat Mater, jener franziskanische Hymnus aus dem 13. Jahrhundert, der das Leiden der Gottesmutter unter dem Kreuz in ergreifende Verse bringt, war für Dvorak ein ganz unmittelbares Zeugnis eigenen Schmerzes, als er die Vertonung 1877 abschloss: Der junge Vater musste um gleich drei früh verstorbene Kinder trauern. Schon zwei Tage nach der Geburt wurde den Eltern im August 1876 die kleine Josefa wieder entrissen – ein Tribut an die hohe Kindersterblichkeit der Zeit. Was jedoch im folgenden Sommer geschah, war eine Tragödie. Die Tochter Ruzena trank, nur einen Moment alleingelassen, aus einer Flasche mit Phosphorlösung, wie man sie damals zur Streichholzherstellung im Haus hatte, und starb daran. Nur einen Monat später, an Dvoraks 36. Geburtstag, erlag der Sohn Otakar den Pocken. Es waren diese Ereignisse, die der Komponist in seinem Stabat mater verarbeitete. Der vorletzte Satz des Werkes, das Altsolo Inflammatus, ist ein von schmerzlicher Gebärde durchdrungenes Gebet an die Jungfrau um Beistand beim Jüngsten Gericht und um wahre Erkenntnis des Kreuzes: „Inflammatus et accensus, per te, virgo, sim defensus in die judicii. / Fac me cruce custodiri, morte Christi praemuniri, confoveri gratia.“

Aus der gleichen doppelten Quelle – Dvoraks inniger Gläubigkeit und privaten Trauerfällen – schöpfen die Biblischen Lieder Opus 99. Es war der Tod Hans von Bülows einerseits – Anregung auch für Mahlers Auferstehungssymphonie -, der Tod seines Vaters andererseits, der Dvorak 1894 zu diesen tief empfundenen Gesängen über Psalmverse inspirierte. Der tschechischen Urfassung hat Dietrich Fischer-Dieskau eine eindrucksvolle Übersetzung hinzugefügt. Wir hören zu Beginn in orgelhaftem Klanggewand Verse aus dem 119. Psalm (Lied Nr. 2, Sieh auf mich). Von ergreifender Schlichtheit ist die Vertonung des 23. Psalms Gott ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln (Lied Nr. 4), dessen lateinische Fassung am vergangenen Freitag erklang, als man den Sarg von Papst Johannes Paul II. auf den Petersplatz trug. Nr. 7 fußt auf dem 137. Psalm An den Wassern zu Babylon saßen wir und weinten, wo die Begleitung auf einfachste Weise die Wasserflüsse Babylons und die Tränen der in der Gefangenschaft darbenden Israeliten nachahmt (hier tschechisch gesungen). Die Nr. 8 Wende dich zu mir, Dvoraks Version des 25. Psalms, beruht auf dem absteigenden Molltetrachord C-B-As-G, einer Art Psalmodie der Klage.

Einen ganz anderen, den leichten, volkstümlichen Dvorak zeigen die Zigeunermelodien Opus 55, die auf deutsche Texte von Aolf Heyduk entstanden und für den Wiener Tenor Gustav Walter bestimmt waren. In unserem Programm erklingen drei Nummern des Zyklus in einer Fassung für Mezzosopran und in tschechischer Sprache.

Gleich in zwei Versionen – im tschechischen Original und in deutscher Übersetzung – hören wir das Mondlied der Rusalka aus der gleichnamigen Oper. Im ersten Akt besingt die Wassernixe Rusalka am Ufer des Sees ihre unglückliche Liebe zu einem Prinzen. „Gleitender Mond, du, so silberzart“ beginnen die Verse, aus deren Vertonung uns die Naturpoesie des spätesten Dvorak gleichsam entgegenleuchtet. Die düsteren Seiten des sich entspinnenden Liebesdramas werden in der Arie der Hexe bedrohlich vorweg genommen: wohl wird sie Rusalka auf eigenen Wunsch in eine Sterbliche verwandeln, doch sie müsse stumm bleiben und ihre Liebe werde unglücklich enden. Dass diese Oper, Dvoraks Bühnen-Meisterstück, nach der Prager Uraufführung 1901 volle 28 Jahre bis zur deutschen Erstaufführung in Stuttgart warten musste, ist ein weiterer Beleg für die schleppende Rezeption tschechischer Vokalmusik hierzulande.