Concerto grosso B-.Dur, op. 3,1 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Georg Friedrich Händel

Concerto grosso B-.Dur, op. 3,1

Concerto grosso B-Dur, op. 3,1

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 4193

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

„Concerto grosso“ ist auch in Deutschland einer der bekanntesten Ausdrücke der Barockmusik, obwohl man ihn im Deutschland der Bachzeit nur selten verwendete. Der Begriff kam um 1680 in Rom auf, um das Streichorchester als „großes Konzert“ vom „kleinen Konzert“ der Solisten zu scheiden: Corelli als Konzertmeister, einer seiner Schüler als Stimmführer der zweiten Geiger und sein Solocellist bildeten das „Concertino“, die übrigen Streicher – je nach Gelegenheit zehn bis hundert Musiker – bildeten das „Concerto grosso“. So hielt es auch später noch Geminiani in London. Von Bläsern ist in diesem Zusammenhang keine Rede, und auch das blieb später noch so: „Concerto grosso“ bezeichnet auch bei Händel und Geminiani hauptsächlich Werke, die in der Tradition des römischen Streicherkonzerts stehen.

Den englischen und deutschen Zeitgenossen war dies sehr bewusst. Ein Werk wie Faschs Concerto für vier Oboen, zwei Fagotte, Streicher und B.c. nannte man „Concert avec plusieurs instruments“ oder „Concerto con molti strumenti“, aber kaum „Concerto grosso“, da Bläser beteiligt waren. Die Londoner nannten Händels sogenannte „Concerti grossi“ Opus 3 konsequent nur seine „Oboe Concertos“, denn auch in ihnen sind durchweg Holzbläser solistisch vertreten.

Soweit zur Terminologie. Der Inhalt der Stücke ist unabhängig davon überaus reizvoll und beleuchtet den Leistungsstand der damaligen Hofkapellen – im großen London ebenso wie in kleinen Residenzen Mitteldeutschlands. Komponiert wurden sie von Freundespaaren: Fasch und Stölzel waren ebenso eng befreundet wie Händel und Geminiani.

Johann Friedrich Fasch, bei Weimar geboren und als Thomasschüler in Leipzig ausgebildet, später Schüler von Graupner in Darmstadt, wurde 1722 Hofkapellmeister an dem kleinen Hof von Anhalt-Zerbst – ein Musenhof unweit von Köthen, wo Bach damals noch ein paar Monate wirkte. Bis zu seinem Tod 1758 produzierte Fasch in Zerbst unablässig Orchestersuiten, Kirchenkantaten und Konzerte in den unterschiedlichsten Besetzungen. Als man 1743 unter seiner Anleitung ein Inventar der Zerbster „Concert-Stube“ erstellte, konnte man allein an Konzerten mehr als 200 Stücke zählen. Viele davon stammten aus Italien, von Meistern wie Torelli, Tessarini, Albinoni oder Vivaldi, von denen sich Fasch inspirieren ließ. Worin er freilich allen Italienern überlegen war, war der Einsatz der Blasinstrumente. Fasch galt in ganz Deutschland als der genialste Komponist für Oboen und Fagotte. Ihnen widmete er zahllose Quartette, Suiten und Konzerte, die auch von Bach in Leipzig und von Telemann in Hamburg aufgeführt wurden.

Auf ähnlichem Niveau schrieb sein Freund Stölzel, aus dem Erzgebirge gebürtig, einst Schulkamerad an der Leipziger Thomasschule, ab 1719 Hofkapellmeister in Gotha. Wer schon einmal das riesige Schloss Friedenstein in der kleinen thüringischen Residenzstadt zwischen Weimar und Erfurt besucht hat, weiß, dass die Herrscher dort überaus standesbewusst und prunkliebend waren – nicht erst in der Zeit, als das Schlosstheater vom Impresario Ekhof zu einem der wichtigsten Theater der Goethezeit erhoben wurde. Auch Stölzel hat für dieses Theater schon Opern komponiert, daneben Passionen und Kirchenmusik für die Schlosskirche (in der Bach anno 1717 seine erste Passion aufführte) und für den wundervollen hochbarocken Festsaal seine zahllosen Suiten und Konzerte. Seine „Concerti grossi a 4 chori“ dagegen waren eher für den weitläufigen Hof bestimmt, der auf drei Seiten von Schlossflügeln umrahmt wird. Er bietet für mehrchöriges Musizieren im Freien mit Pauken und Trompeten beste Akustik. Vielleicht darf man sich dazu sogar ein Rossballett oder Turnier vorstellen, eine jener prachtvollen und lauten Veranstaltungen, die gerne mit Trompeten und Pauken untermalt wurden.

Im London des 18. Jahrhunderts herrschte kein Mangel an Musikern für wahrhaft große „Concerti grossi“. Der fleißigste Produzent solcher Stücke war der aus Lucca stammene, weltberühmte Geiger Francesco Geminiani. Er war 1714, drei Jahre nach Händel, in London angekommen, hatte sich von diesel am Cembalo begleiten lassen, um auf König Georg II. Eindruck zu machen und eroberte die Herzen der Londoner mit seinen Bearbeitungen Corellischer Sonaten, die er kurzerhand zu Concerti grossi aufstockte. Daneben hat er auch mehrere Zyklen eigener Concerti komponiert, insgesamt 47 an der Zahl. Sie bleiben fast durchweg dem klassischen römischen Ideal seiner Jugendzeit verpflichtet, als er um 1709 mit Corelli zusammentraf. Doch mischen sich auch zunehmend Elemente des galanten Stils ins Geschehen. Wie sein Freund und Duopartner Händel war auch Geminiani für die „Royals“ tätig, denen er viele seiner Concerti widmete.

Die wichtigste Widmung in Händels Konzertschaffen betraf ein Ereignis, das noch heute Millionen von Menschen vor den Fernsehbildschirm bringt: eine königliche Hochzeit, „a royal wedding“. Prinzessin Anne, die Tochter König Georgs II., heiratete im März 1734 den Prinzen von Oranjen. Händel schrieb zu dieser Gelegenheit seine Oper „Il Parnasso in Festa“ und die „Six Concertos“ Opus 3, die am Trauungstag im St. James Palace erklangen. Man kann sich gut vorstellen, wie das frisch getraute Paar unter den prachtvollen Klängen des ersten Konzerts einherschritt: getragen vom festlichen Rhythmus und den rauschenden Sequenzen der Solovioline wie vom Jubel des Volkes.