Streichquartett Nr. 1 c-Moll (1904) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Karl Weigl

Streichquartett Nr. 1 c-Moll (1904)

Streichquartett Nr. 1 c-Moll (1904)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 4247

Satzbezeichnungen

1. Allegro con fuoco (Stürmisch bewegt)

2. Adagio (Sehr langsam)

3. Wild und bacchantisch (Furioso)

4. Allegro moderato – Sehr langsam

Erläuterungen

Karl Weigl
Streichquartett Nr. 1 c-Moll

Old Vienna, Altes Wien nannte der Wiener Komponist Karl Weigl eine nostalgische Fantasie für Orchester, mit der er sich 1939 beim New Yorker Publikum vorstellte. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 hatte er seine Heimat verlassen müssen. Im Alter von 57 Jahren war der zuhause hoch geachtete Theorielehrer und Sinfoniker, der Lehrer von Korngold und Eisler, gezwungen, in eine ungewisse Zukunft aufzubrechen. Obwohl er Anstellungen als Kompositionslehrer an renommierten Instituten in Boston, Philadelphia und New York fand, wurde er in der Neuen Welt nicht mehr heimisch. Sein Herz war gleichsam in Wien geblieben. Mit seiner 5. Sinfonie in c-Moll, der „Apokalyptischen“, reagierte er von New York aus auf das Kriegsende in Europa, zwei Jahre später schrieb er seine 6. Sinfonie. 1949 starb er an den Ufern des Hudson.
Geboren wurde Weigl 1881 unweit des Donaukanals. Als Student von Robert Fuchs und Alexander von Zemlinsky durchlief er die gleiche Schule wie Arnold Schönberg, der ein Freund seiner Mutter war. Im Gegensatz zu Schönberg blieb aber Weigl in seinen Werken lebenslang der Tonalität und den traditionellen Genres treu. „In der melodischen Erfindungsgabe und Klarheit der Form repräsentiert er das Beste der Wiener Tradition.“ (Charlotte Erwin) Gustav Mahler berief ihn 1904 zum Solokorrepetitor und Dirigierassistenten an die Wiener Hofoper, wo er bis 1906 blieb und wertvolle Eindrücke für seine eigene Orchestermusik sammelte. Jahrzehnte später schrieb er seine Erinnerungen an Gustav Mahler nieder. Noch zu Mahlers Lebzeiten wagte er sich an seine 1. Sinfonie in E-Dur (1908). Mit der monumentalen Zweiten schuf er 1922 sein Fanal für die Opfer des Ersten Weltkriegs. Ihr zentraler Satz De Profunctis trägt eine Widmung An den unbekannten Soldaten. Von diesem bei Schott in Mainz verlegten Werk bis hin zur amerikanischen Nr. 6 komponierte Weigl einen höchst beeindruckenden sinfonischen Zyklus, der bis heute zu Unrecht im Schatten von Mahler steht.

Auch seine beiden Klavierkonzerte, sein Violin- und sein Cellokonzert, besonders aber seine acht Streichquartette brauchen den Vergleich mit den großen Namen in der ersten Jahrhunderthälfte nicht zu scheuen. Dies wussten schon so berühmte Kollegen wie Richard Strauss, Bruno Walter und Pablo Casals, die Weigls Musik außerordentlich schätzten. Wilhelm Furtwängler und George Szell dirigierten in den Dreißiger Jahren wichtige Uraufführungen seiner sinfonischen Werke. In der Kammermusik finden sich neben den Streichquartetten noch je eine Cello- und Bratschensonate, zwei Violinsonaten und diverse kleinere Stücke. Sein d-Moll-Streichsextett wurde 1907 auf Drängen Mahlers durch das erweiterte Rosé-Quartett, damals Wiens führende Quartettformation, im Bösendorfer-Saal uraufgeführt.

Bereits drei Jahre zuvor hatte sich Weigl mit seinem Quartetterstling auf denkbar eindrucksvolle Weise auf den Musikpodien der Donaumetropole vorgestellt. Schon die Tonart c-Moll suggeriert den Bedeutungsgehalt: Es handelt sich um eine Art „Schicksalsquartett“. Unschwer hört man aus den gewichtigen Themen die Tradition der großen
c-Moll-Werke von Brahms heraus (1. Sinfonie, 1. Streichquartett, 3. Klavierquartett). Die Harmonik dagegen und die Klanglichkeit verweisen eher auf Hugo Wolf und Gustav Mahler.

Mit Mahler teilte Weigl die Neigung zu breit ausgeführten
Adagios, deren Prototyp sich im c-Moll-Quartett findet: ein wunderschöner, äußerst langsamer Satz von breitester melodischer Anlage. Mahlerisch wirken auch seine Scherzosätze, indem sie das Groteske streifen. Im ersten Quartett spiegelt sich dieser besondere Zug schon in der Überschrift wider: Wild und bacchantisch nannte Weigl diesen Satz, ein veritables Bacchanal.

Die Ecksätze weichen von der Brahms-Tradition insofern ab, als sich der Kopfsatz wild und ungestüm gebärdet, ein stürmisch
bewegtes Allegro con fuoco in ausladender Sonatenform. Das Finale dagegen verharrt zunächst im gemäßigten Tempo eines
Andante moderato, um am Ende gar in eine „sehr langsame“ Coda überzugehen.

Da Weigls Kammermusik in unseren Konzertsälen so gut wie nicht mehr gespielt wird, wagt sich das casalQUARTETT hier auf Neuland vor. In den USA ist der Name des Komponisten weitaus bekannter, kümmert sich doch der Karl Weigl Memorial Fund um regelmäßige Aufführungen seiner Werke.