Sinfonietta F-Dur, op. 188 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Joachim Raff

Sinfonietta F-Dur, op. 188

Sinfonietta für zehn Bläser F-Dur, op. 188

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 4269

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Allegro molto

3. Larghetto

4. Vivace

Erläuterungen

ARMER RAFF! Deine Schönheiten versteht fast Niemand!” Der Musikliebhaber, der diese Zeilen im 19. Jahrhundert auf die Originalausgabe der Violinsonaten von Joachim Raff kritzelte, würde sich vermutlich freuen, wenn er sehen könnte, wie Musiker des 21. Jahrhunderts die Werke seines Idols peu á peu wieder entdecken. In der Tat hat erst kürzlich eine Art Raff-Renaissance eingesetzt, die umso verdienter ist, als der Komponist nicht erst posthum in den Schatten der großen Romantiker geriet. Als Privatsekretär von Franz Liszt in Weimar – ein Posten, den er von 1850 bis 1856 ausfüllte – legte sich Raff selbst auf eine Position fest, aus der er zeitlebens nur schwer herausfand. Erst während seiner Jahre an Rhein und Main, in Wiesbaden und Frankfurt, mehrte sich sein Ruhm als Sinfoniker.

In Wiesbaden entstand seine Sinfonietta für Bläser. Für einen Liszt-Schüler zeigte Raff ein seltsam ausgeprägtes Interesse an der Kammermusik: acht Streichquartette, je ein Streichsextett und Klavierquintett, zwei Klavierquartette, vier Trios etc. lassen eher an das Vorbild Brahms denken denn an die Nähe zu den Neudeutschen. Gerade dieser Reichtum in den klassischen Kammermusik-Genres bildet die Grundlage für Raffs Wiederentdeckung. Den Kammermusik-Kennern um 1900 war seine Bedeutung in diesem Metier noch bewusst. Der Violinvirtuose Pablo de Sarasate spielte die Sonaten von Raff regelmäßig im Konzert – mit dem größten Enthusiasmus und entsprechendem Erfolg. Ein so profunder Kenner der Kammermusik und geigender Liebhaber wie der englische Industrielle Walter Wilson Cobbett bescheinigte Raff “eine wahre Vertrautheit mit dem inneren Leben” der Kammermusik und die Fähigkeit, “Musik zwischen extremer Brillanz und gefühlvoller Zartheit zu schreiben”. Der Vorwurf, den Cobbett andererseits gegen Raff erhob, war der zu großer, unkritischer Produktivität: “Zwischen seinen Meisterwerken schüttete er pausenlos Massenware aus, in der nur mit Wasser gekocht wird und die seinen guten Ruf verdarb.”

Von der Sinfonietta lässt sich dies nicht sagen: Sie ist sein einziger Beitrag zum Genre der “Harmoniemusik” für Bläser, die man damals in Deutschland und Frankreich gerade erst wiederzubeleben begann. Johannes Brahms hatte mit seiner fast ganz von den Bläsern dominierten Serenade Nr. 2 A-Dur ein Zeichen gesetzt, ebenso Charles Gounod in Paris mit seiner “Petite Symphonie” für Bläser. Aus beiden Quellen speiste Raff die Inspiration zu seiner “kleinen Sinfonie” in vier Sätzen.

Dem klassischen Bläseroktett aus je zwei Oboen, Klarinetten, Hörnern und Fagotten fügte er zwei Flöten hinzu, um den Klang brillanter und duftiger zu machen. Nicht nur deshalb, sondern auch wegen der freudigen Grundgestimmtheit in der pastoralen Tonart F-Dur ist die Sinfonietta eine echte Frühlingsmusik. Geschrieben wurde sie im Frühjahr 1873 in Wiesbaden. Sie beginnt mit einem ausgewachsenen Allegro in Sonatenform, gefolgt von einem Scherzo im schwingenden Sechsachteltakt. In der rondoartigen Form dieses Satzes gibt weniger das knappe Hauptthema in f-Moll als vielmehr das schöne, lyrische Seitenthema den Ton an. Vieles erinnert an Mendelssohn, besonders der knappe, effektvolle Schluss. Das Larghetto lässt zwei Themen wirkungsvoll alternieren, von denen das zweite eine typische, ruhig-versonnene Raff-Melodie ist. Prickelndes Staccato eröffnet das festlich-heitere Finale. Da die Sinfonietta bereits 1878 in einem Leipziger Verlag erschien, war sie am Ende des 19. Jahrhunderts weit verbreitet.