Scènes de la Csárda Nr. 4, op. 32 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Jenö Hubay

Scènes de la Csárda Nr. 4, op. 32

Hejre Kati. Scènes de la Csárda für Violine und Klavier Nr. 4, op. 32

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnungen

Lento ma non troppo – Allegro moderato –
Allegro molto

Erläuterungen

Die Kunst des ungarischen Geigers Jenö Hubay kann man heute noch auf alten Aufnahmen bewundern: seinen warmen Ton, seinen intensiven Vortrag und den klassisch schönen Stil. All diese Eigenschaften machten ihn zum bevorzugten Duopartner von Johannes Brahms, nachdem Hubay 1886 in seine Heimatstadt Budapest zurückgekehrt war. Dort hatte er die Grundlagen zu seiner späteren Karriere gelegt, nämlich bei seinem Vater Károly Huber, dem langjährigen Konzertmeister und Chefdirigenten am Budapester Nationaltheater. Zum Studium ging der junge Jenö mit 15 Jahren nach Berlin, zu dem berühmtesten ungarischen Geiger der Brahmszeit: Joseph Joachim. Bei ihm, dem Brahmsfreund und Gründungspräsidenten der Königlichen Musikhochschule, studierte Jenö, bis er mit 18 nach Paris zog, um die Salons zu erobern, was ihm mit seiner Carmen-Fantasie über Bizets damals taufrische Oper nicht schwerfiel. Für Paris änderte er seinen Namen von „Huber“ ins ungarisch klingende „Hubay“. Seine Freundschaft mit dem Geiger Vieuxtemps führte ihn nach Belgien, wo er mit nur 24 Jahren zum Professor am Brüsseler Konservatorium avancierte. Nach dem Tod des Vaters aber zog es ihn zurück in die Heimat.

In Budapest wurde Hubay bald zur unumstößlichen Autorität in allen Fragen der Musik. Ein halbes Jahrhundert lang unterrichtete er als Professor an der Musikakademie, wo er zwei Generationen weltberühmter Geiger ausbildete. Zu seinen Schülern zählten so große Namen wie Josef Szigeti, Imre Waldbauer, Eugene Ormandy, Ilona Feher und Jelly d’Aranyi. Dank seiner Heirat mit einer Adligen und seiner eigenen Erhebung in den Adelsstand residierte er in einem stattlichen Palais, das vor und nach dem Ersten Weltkrieg zu den Treffpunkten des ungarischen Musiklebens zählte. Dort und in den Konzertsälen der Welt gab Hubay seine Scènes de la Csádra zum Besten, seine insgesamt 14 Opera, in denen er Szenen aus dem ungarischen Volksleben musikalisch nachzeichnete. Dazu vermischte er in freier und recht unkritischer Weise Zigeunermelodien mit echten ungarischen Volksliedern. Noch hatte der junge Béla Bartók nicht seine Feldforschungen zur unverfälschten ungarischen Bauernmusik begonnen.

Die Nr. 4 aus den Csárda-Szenen schrieb Hubay gerade 1890, in der Zeit seiner intensivsten Auftritte an der Seite von Brahms. Er wird sie auch bei jenen Konzerten gespielt haben, in denen er die späte Kammermusik von Brahms zusammen mit dem Komponisten aufführte. Brahms, der zuhause in Wien zu den Stammgästen der Csárdas-Kapellen im Prater zählte, wird seinen ungarischen Geigerfreund nach Herzenslust am Klavier begleitet haben.

Scène de la Csárda Nr. 4, op. 32, trägt den Titel Hejre Kati („Schöne Kathi“) nach einem damals überaus beliebten Volkslied, das von den Zigeunerkapellen in den Budapester Kaffeehäusern aufgeführt wurde. Dort hat es auch Hubay aufgegriffen, ebenso wie die Melodie der langsamen Einleitung, die auf das Lied Gelber Hengst zurückgeht. Dieses süße E-Dur-Thema mit seinen schmachtenden Harmonien, seinem Rubato und seinen Ornamenten war für den ersten, langsamen Teil eines Csárdas bestens geeignet. Daran schließt sich zunächst ein Allegro moderato in e-Moll über eine andere Volksweise an (Die Liebe eines jungen Barons). Für den Friss, den mitreißenden Schlussteil des Csárdas, hob sich Hubay die Titelmelodie auf, die auch von Brahms in seinem 21. Ungarischen Tanz verwendet wurde.

Bis heute ist Hubay hauptsächlich für seine Scènes de la Csárda berühmt, die unsere Interpreten Hagai Shaham und Arnon Erez komplett auf CD eingespielt haben. Sie stehen damit in einer langen Reihe von Geigern, die sich die Csárda-Szenen auf jeweils eigene Weise aneigneten – bis hin zu dem farbigen amerikanischen Jazzgeiger Eddie South, der Hubay in den „Goldenen Zwanzigern“ in Budapest kennenlernte und dessen Csárda-Szenen mit jazzigen Rhythmen unterlegte.

Hubays kompositorisches Schaffen beschränkt sich freilich keineswegs auf Schmankerl im ungarischen Volkston. Von seinen zehn Opern wurde Le Luthier de Crémone (Der Geigenbauer von Cremona, 1892) so erfolgreich, dass sie auf mehr als 70 Bühnen in ganz Europa nachgespielt wurde. Seine gefühlssatte Opernmusik im Stil eines Massenet kann man auch in Anna Karenina nach Tolstoi von 1914 erleben, während er daneben reizvolle Beiträge zum Genre der Märchenoper schuf (Der selbstsüchtige Riese nach Oscar Wilde u. a.). Dass er sich auf das Metier des Virtuosenkonzerts verstand, bezeugen seine vier Violinkonzerte wie auch das Bratschenkonzert Opus 20. Aber auch zwei Sinfonien, eine Biedermeier-Suite für Orchester und etliche Kammermusikwerke finden sich in seinem Werkkatalog. Mit zwei großen chorsinfonischen Werken hat er sich zwischen den Weltkriegen an der Diskussion um den Weltfrieden beteiligt: Ara Pacis nach Romain Rolland und Vita nuova nach Dante.

Karl Böhmer