Six Gnossiennes | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Erik Satie

Six Gnossiennes

Six Gnossiennes

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Nr. 1 Lent (1890)
Nr. 2 Avec étonnement (April 1893)
Nr. 3 Lent (1890)
Nr. 4 Lent (22. Januar 1891)
Nr. 5 Modéré (8. Juli 1889)
Nr. 6 Avec conviction et avec une tristesse rigoureuse (Januar 1897)

Erläuterung

Paris, 1888: In einem acht Quadratmeter großen, unbeheizten Zimmerchen am Montmartre schreibt Erik Satie eine Musik, die Paris und die Welt verändern wird, allerdings erst Jahrzehnte später. Zwischen dem ärmlichen Glanz des Bohémien-Lebens am Montmartre und der Wohnung seines Freundes Claude Debussy verfasste Satie mittellos und frierend kleine, poetische Klavierstücke, die erst viel später zu seinem Durchbruch führen sollten. Bis man ihn zum Mentor der Avantgarde erklärte, blieb er im Pariser Musikleben ein Außenseiter, ein belächelter Pianist in den Cabarets des Viertels.

In jener ärmlichen Umgebung entstand 1888 ein Klavierstück, das heute die ganze Welt kennt: die Gymnopédie Nr. 1. Die sanft herabschwebende Melodie der rechten Hand über der wiegenden Begleitung darf in keinem Fernsehfilm fehlen, wenn es um die „Leichtigkeit des Seins“ à la française geht oder impressionistisch angehauchte Szenen in der Natur gezeigt werden. Ihr Komponist stellte sich dazu eine Szene aus der griechischen Antike vor: einen Tanz von Jünglingen, die beim Totengedenken für die Gefallenen von Thyrea den Sonnenaufgang mit ihren kreisenden Bewegung begrüßen. Aus der ersten Gymnopédie wurde ein ganzer Zyklus von drei Stücken, denen Satie sofort einen ähnlich mystischen Klavierzyklus folgen ließ: die Gnossiennes. Im Juli 1888 schrieb er das erste Stück dieser Serie, die spätere Nr. 5, noch unsicher, ob daraus Tänze oder andere Formen werden sollten. Für die nächsten Stücke verzichtete er auf jede Takteinteilung – ganz ähnlich den Préludes non mésurés der französischen Cembalisten. Bis April 1891 entstanden zunächst drei weitere Stücke. Die spätere Nr. 3 folgte 1893, das letzte Stück erst 1897.

Ob Satie mit dem Titel Gnossiennes auf die Philosophie der Gnostiker anspielte oder auf den Palast von Knossos auf Kreta, der just 1878 wiederentdeckt worden war und in den folgenden Jahren zur berühmten Ausgrabungsstätte wurde, hätte nur er beantworten können. Die Wortschöpfung Gnossiennes war bewusst nebulös, um eine geheimnisvolle mystisch-antikische Aura um die Musik zu legen. Denn die sechs Gnossiennes gehören in die erste Stilphase von Saties Entwicklung, die der große französische Pianist Alfred Cortot „die Periode des Mystizismus und der mittelalterlichen Einflüsse nannte“. Die zweite Gnossienne widmete Satie vorübergehend dem exzentrischen Pariser Mäzen Antoine de La Rochefoucauld, dem Mitbegründer der „Rosenkreuzer“, die davon träumten, jene mittelalterliche Sekte unter den Vorzeichen des Gralsmythos wieder auferstehen zu lassen. Satie war zeitweise der offizielle Pianist des „Tempels“ der „Rosenkreuzer“, wo er einzelne der Gnossiennes auch gespielt haben dürfte – als Träumereien von einer mystisch reinen Welt antiker oder mittelalterlicher Zeremonien.

Der Charakter der Sätze ergibt sich aus dem Tempo, das durchweg langsam (lent) oder gemäßigt ist (modéré). Die Nr. 2 soll „mit Erstaunen“ gespielt werden (Avec étonnement), die Nr. 6 „mit Überzeugung und einer rigorosen Traurigkeit“ (Avec cinv)