Quintett Es-Dur, op. 88 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Antonin Reicha

Quintett Es-Dur, op. 88

Quintett Es-Dur, op. 88

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

1. Lento – Allegro moderato
2. Menuetto. Allegro
3. Poco Andante. Grazioso
4. Finale. Allegro molto

Einem Jugendfreund Beethovens blieb es vorbehalten, das Bläserquintett in seiner klassischen Form zu erfinden: Anton Reicha. Er wurde im selben Jahr wie Beethoven 1770 in Prag geboren und begegnete seinem berühmten Zeitgenossen im Bonner Hoforchester, wo beide Musiker wirkten. Während Beethoven sich für Wien als weiteren Wirkungsort entschied, verschlug es Reicha nach Paris, wo er jahrzehntelang als Kontrapunkt-Professor am Conservatoire eine unumstrittene Autoriär des französischen Musiklebens war.

Es waren seine Professorenkollegen an den fünf Bläserklassen des Pariser Konservatoriums, die ihn auf die Idee brachten, Flöte, erhielt er die und erhielt die Anregung für seine späteren Pariser Experimente mit dem Bläserquintett möglicherweise am kleinen Fürstenhof in Wallerstein: Antonio Rosetti, der Wallersteiner Kapellmeister, schrieb ein Quintett für fünf Holzbläser (noch mit Englischhorn statt Horn), in dem Reicha mitwirkte. Die Idee muss sich ihm eingeprägt haben, denn er griff sie Jahrzehnte später auf, als er schon als Professor am Pariser Conservatoire fest installiert war. Auf den Böhmen Antonín Reicha folgten also in seiner Vita zu gleichen Teilen der Deutsche „Anton“ und der Franzose „Antoine“ Reicha.

Gleichgültig, unter welchem Vornamen man ihn heute nennt: Reicha zählt zu den unterschätzten Meistern des frühen 19. Jahrhunderts. Der Jugendfreund Beethovens entwickelte in seiner Musiktheorie neue Modelle, etwa für die Fugenkomposition, die als ebenso experimentell wie Beethovens Formen gelten können. In seiner Lebensstellung als Professor für Kontrapunkt und Fuge am Pariser Conservatoire unterrichtete er so unterschiedliche Schüler wie Héctor Berlioz, Franz Liszt und César Franck. Als Komponist machte er eine Karriere im Schatten der Wiener Klassiker, seit er mit 15 Jahren in Bonn Beethoven kennengelernt hatte, wo beide in der Hofkapelle spielten: Reicha die Flöte, Beethoven bekanntlich Klavier und Streichinstrumente. Nachdem Reicha 1795 geschworen hatte, nicht mehr als Interpret aufzutreten, begann er eine vielversprechende Laufbahn als Sinfoniker. Da sein erster Versuch, sich in Paris als Komponist zu etablieren, scheiterte, ging er 1801 nach Wien, um im Kontakt mit Beethoven, Haydn und Salieri an die Tradition der Wiener Klassik anzuknüpfen. Im Aufwind der napoleonischen Ära kehret er nach Paris zurück und überlebte den Sturz des Kaisers auch dank seines Renommees als Professor am Conservatoire.

Während seine Opern und seine 15 Sinfonien von den Zeitläuften überrollt wurden, schuf er 100 Opera mit Kammermusik, die bis heute seine Gewandtheit im klassischen Stil belegen. Seine bekanntesten Werke sind die 24 Bläserquintette, die er ab 1814 für seine Professoren-Kollegen in den Bläserklassen des Conservatoire komponierte. Sie bilden den klassischen Grundstock der Gattung, als deren Erfinder man Reicha bezeichnen darf.

Das Es-Dur-Quintett, op. 88,2 ist unüberhörbar der Musik der Wiener Klassik verpflichtet: Die langsame Einleitung beginnt mit jenen drei Akkorden, die auch Mozart an den Anfang seiner Zauberflöte stellte. Was sich daran anschließt, ist freilich mehr als nur ein Kaleidoskop aus Wiener Reminiszenzen; es ist eine harmonisch und melodisch höchst eigenständige Musik mit satztechnisch hohem Anspruch. So wird das Allegro moderato in Sonatenform vom solistischen Fagott mit einem originell rhythmisierten Thema eröffnet, das die anderen kantabel fortspinnen. Keinem Instrument kommt die Führung zu, denn Reicha hat die so genannte „durchbrochene Arbeit“ des Streichquartetts kongenial auf die Bläser übertragen. Französisch mutet das Andante im Stil einer Romance an, durchsetzt von frühromantischen Mollepisoden und einer feierliche Fuge – Tribut an Reichas viel gepriesene Kunst des Kontrapunkts. Wienerisch klingt die Musik dagegen wieder im Haydnesken Menuett und im quirligen Finale, einer echten „Chasse“, also einer Jagdmusik.