Drei Stücke für Fagott solo (2001/02) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Heinz Holliger

Drei Stücke für Fagott solo (2001/02)

Drei Stücke für Fagott solo (2001/02)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Besetzung

Fagott

Satzbezeichnung

Mathewmatics
Mart(d)er aller Arten
Klaus-ur

Erläuterung

Holligers Fagottisten

Drei großen Fagottisten unserer Zeit hat der Schweizer Oboist und Komponist Heinz Holliger seine Drei Stücke für Fagott solo gewidmet. Dem ersten Stück gab er zu Ehren von Matthew Wilkie den Titel Mathewmatics. Mit seinen bizarren Lagenwechseln, den röhrenden Mehrklängen und mathematisch austarierten Rhythmen ist es sicher das sperrigste der drei Stücke. Ob sich dahinter ein Porträt von Matthew Wilkie verbirgt, bleibt das Geheimnis des Komponisten. Als Dirigent hatte es Heinz Holliger immer mit ihm zu tun, wenn er das Chamber Orchestra of Europe dirigierte. Wilkie ist dort wie auch im Sydney Symphony Orchestra erster Solofagottist.

Das zweite Stück hat Holliger nicht zufällig dem zweiten Solo-Fagottisten des Chamber Orchestra of Europe gewidmet, dem Engländer Christopher Gunia. Die beiden Stücke wurden nämlich tatsächlich im Chamber Orchestra of Europe uraufgeführt, als Holliger mit diesem Klangkörper sein Concerto – Con soli per tutti aus der Taufe hob. Wie er im Titel schon versprochen hatte, bescherte Holliger in diesem Concerto jedem Orchestermitglied ein Solo, auch jedem der beiden Fagottisten. Nur die beiden Fagottsoli hat er später separat publiziert: in den Drei Stücken. Das Solo für Christopher Gunia hat Holliger gänzlich anders angelegt als das für den Orchesterkollegen Willkie: Es hat nichts mit Mathematik, sondern eher mit Oper zu tun. Der Titel Marder aller Arten muss nämlich so geschrieben werden, dass über dem d sich ein t ins Bild drängt – natürlich eine Anspielung auf Konstanzes Bravourarie Martern aller Arten im zweiten Akt der Entführung aus dem Serail. Melodische Zitate aus dieser berühmten Mozart-Arie finden sich zwar nicht, wohl aber Anspielungen auf die Attitüde einer Primadonna, etwa in den hohen Trillern oder den wahnwitzig überdrehten „Koloraturen“. Dass diese manchmal an Marder erinnern, die sich durchs Gebüsch wühlen, legt schon der Titel nahe.

Der Titel des letzten Stücks enthält wieder den Vornamen des Widmungsträgers: Klaus-Ur. Welcher Klaus hier gemeint ist, können all jene leicht erraten, die sich mit den zahllosen Einspielungen des Oboisten Heinz Holliger auskennen. Neben dem legendären Flötisten Aurèle Nicolet war wohl kein anderer so oft sein Kammermusikpartner wie Klaus Thunemann. Natürlich ist Holligers Klaus-Ur ihm gewidmet, dem Übervater des Fagottspiels in Deutschland, der im vergangenen April seinen 80. Geburtstag feiern konnte und lange Jahre Dozent bei Villa Musica war. Es ist das längste und schwierigste der drei Stücke, denn es beginnt in rasend schnellem Legato im dreifachen Piano. In die chromatisch sich windenden Linien müssen blitzartig laute Einzeltöne hineingesetzt werden. Der Druck auf den Solisten wird so groß, dass er nach eineinhalb Notenseiten seinem Unmut freien Lauf lässt durch Überblasen mit Doppelzunge und ein Crescendo bis zum dreifachen Forte, das disperato klingen soll, „verzweifelt“. Danach geht die Geläufigkeitsprüfung in die zweite Phase über: extreme Lagenwechsel auf engstem Raum, abwechselnd gestoßen und gebunden, gefolgt von einem fast panischen langen Ton. Doch wieder beginnt das Perpetuum mobile von vorne. Nun hat Holliger die Musik auf zwei Systemen notiert, so viele Noten muss der Solist quasi zweistimmig-polyphon bewältigen! Nachdem das Maximaltempo erreicht ist, bricht die Linie plötzlich ab, und der Fagottist geht zu Sauggeräuschen über, die sich wie „Anschmatzen“ anhören. Bis zum Ende werden noch etliche andere moderne Spieltechniken verlangt wie Luftgeräusche mit wenig Ton, Zittern mit dem Kiefer, Klappengeräusche und zart angesaugte Obertöne. Mit einem Wort: ein Parcours der äußersten fagottistischen Schwierigkeiten.

Gerne wäre man dabei gewesen, als dieses Stück den jungen Fagottisten beim ARD Wettbewerb 2002 als Pflichtstück vorgelegt wurde. Genau zu diesem Zweck – als gnadenlose fünf Minuten der Wahrheit im wichtigsten deutschen Klassikwettbewerb – hat Heinz Holliger seine Klaus-Ur geschrieben: „Im dritten Stück geht der Fagottist ganz sprichwörtlich in Klausur, um kaum noch realisierbare Spielweisen zu erproben – nur für Wagemutige geeignet!“ So hat es der Schott-Verlag in seinem Werktext zur Ausgabe der drei Stücke formuliert.