Duo concertant D-Dur, Op. 57 Nr. 3 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Charles-Auguste de Bériot

Duo concertant D-Dur, Op. 57 Nr. 3

Duo concertant D-Dur, Op. 57 Nr. 3 für 2 Violinen

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Moderato
Adagio
Allegretto

Erläuterung

Belgien zählt heute zu den großen Nationen des Geigenspiels: Die berühmte belgische Violinschule, der Königin-Elisabeth-Wettbewerb, die vielen großen Namen, die aus dem Brüsseler Konservatorium hervorgingen: Dies alles hat die Musikwelt einem Belgier der Romantik zu verdanken, der sich zu seiner Heimat rückhaltlos bekannte: Charles-Auguste de Bériot. 1802 in Löwen geboren, profitierte er von dem neuen Glanz, den König Willem I. der Niederlande seiner Residenzstadt Brüssel verlieh. In der Hofkapelle des Königs war der Brüsseler André Robberechts Konzertmeister, ein Schüler von Viotti, der seinen eigenen Schüler Bériot in einer vornehm ausdrucksvollen Manier des Vortrags unterrichtete. Anders als die Pariser Virtuosen entwickelte de Bériot dieses klassisch schöne Ideal weiter, gespickt allerdings mit allen technischen Finessen des Zeitalters. Als nach der Julirevolution 1830 das neue Königreich Belgien entstand, kam die Chance, diesen Stil zu einem unverwechselbar belgischen zu machen. Statt den Ruf ans berühmte Pariser Conservatoire anzunehmen, blieb de Bériot seiner Heimat treu und wurde 1842 Professor am neu gegründeten Brüsseler Konservatorium.

Nicht nur geigerisch machte der junge Belgier eine gute Figur, denn es gelang ihm, eine der berühmtesten Frauen des Zeitalters in seinen Bann zu ziehen: Maria Malibran, die gefeierte Mezzosopranistin, Star der Opern Rossinis und Bellinis. 1833 wurden die Beiden ein Paar – heimlich, doch so, dass die Kollegen ohnehin bescheid wussten. Felix Mendelssohn kaum auf die Idee, den beiden Künstlern ein gemeinsames Werk zu widmen: die Konzertarie Ah, Perfido für Mezzosopran, Solovioline und Orchester. Zwei Jahre später legalisierten de Bériot und die Malibran ihre Verbindung, der schon ein Sohn entsprossen war. Wenige Monate später aber stürzte die sportliche Sängerin vom Pferd und erlag ihren schweren Verletzungen. De Bériot hatte seine große Liebe verloren und litt unsäglich unter dem Verlust. Er lebte lange Zeit zurückgezogen in Brüssel, bis ihn die neuen pädagogischen Aufgaben und eine zweite Ehe wieder ins Rampenlicht zurückholten.

Seine drei konzertanten Duos für zwei Violinen erschienen 1847 im Mailänder Verlag Ricordi – übrigens noch mit dem Doppeladler der Habsburgermonarchie auf der Titelseite, da Mailand seit 1815 wieder einmal österreichisch besetzt war und 1848 vergeblich versuchte, sich von der Fremdherrschaft zu befreien. Etwas von der spannungsgeladenen Atmosphäre der Monate vor der 48er-Revolution mag man auch aus dem D-Dur-Duo heraushören: Der zweite Satz, ein Adagio, beginnt mit einer wunderschönen Melodie der ersten Geige auf der G-Saite – die Cavatina einer Primadonna, wie sie die Malibran in Bellinis Opern gesungen hatte, eine Art geigerisches „Casta diva“. Dann aber bricht plötzlich ein Marcato in f-Moll in die Idylle ein, eine düstere Revolutionsmusik. Zwar kehrt der schöne Anfang danach wieder, zwar schwingen sich am Ende des Satzes die beiden Geigen zu einem sehnsüchtigen Espressivo auf, doch wird all dies vom düsteren d-Moll-Finale verdrängt. Es ist ein Totentanz, eine mürrische Tarantella, die an Schuberts Streichquartett Der Tod und das Mädchen erinnert – de Béroit war nur fünf Jahre jünger als Schubert und kannte dessen Kammermusik. Lange braucht der Satz, bis er sich zum strahlenden D-Dur und zu seiner furiosen Stretta durchringt. Unwillkürlich denkt man an die italienische Oper, an den dramatischen Gegensatz zwischen Cavatina (langsamer Satz) und Cabaletta (Finale). Auch die Seitenthemen dieses Finales sind reinste italienische Oper, ganz besonders der orgiastische Schluss. Ob de Bériot an die Malibran dachte, wenn ihm solche Themen einfielen? Auch im ersten Satz fällt das opernhafte Seitenthema auf, während das Hauptthema eine unverhohlene Huldigung an Mozart ist: Das berühmte Finalthema aus der „Jupitersinfonie“ wird mit leisem Pizzicato der zweiten Geige unterlegt.

Karl Böhmer