Fagottsonate G-Dur op. 168 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Camille Saint-Saëns

Fagottsonate G-Dur op. 168

Sonate G-Dur op. 168 für Fagott und Klavier

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Besetzung

Fagott
Klavier

Satzbezeichnung

Allegro moderato
Allegro scherzando
Adagio – Allegro moderato

Erläuterung

Camille Saint-Saëns war der berühmteste Komponist der „Belle époque“, jener Epoche des Aufbruchs zu neuer Lebenslust, die in Frankreich nach dem verlorenen Krieg gegen Preußen und dem Ende des Zweiten Kaiserreichs 1871 anbrach. Es war die Zeit der impressionistischen Maler, der Dichter Flaubert und Verlaine, der jungen Komponisten um Gabriel Fauré. Die Société Nationale de Musique lieferte einer neuen Komponistengeneration Aufträge und Auftrittsmöglichkeiten, die Société des Instruments à vent hielt sie zu Kammermusikwerken für Holzbläser an, und über allem wachte Saint-Saëns als „Grandseigneur“ an Klavier, Orgel und Dirigentenpult, obwohl er 1875 gerade erst seinen 40. Geburtstag feierte.

Gegen Ende der Achtziger Jahre wurde der Komponist des Karnevals der Tiere, der „Orgelsymphonie“ und der Grand Opéra Samson et Dalila plötzlich zum leidenschaftlichen Touristen. Nach dem Tode seiner Mutter 1888 machte er sich auf zu fremden Ländern und Menschen – von den Kanaren bis nach Südostasien. Unter dem Pseudonym „Sannois“ verfasste er darüber umfangreiche Reiseberichte, widmete seinen Ferienorten aber auch so manches klingende „Souvenir“. In keiner Weltgegend hielt er sich lieber auf als in Nordafrika – um die Sonne zu genießen und die Schönheit der arabischen Kultur, vielleicht aber auch, um seine Homosexualität freier auszuleben, als dies selbst im liberalen Frankreich damals möglich war.

Im Frühjahr und Sommer 1921 schrieb er in Algier sein kompositorisches Testament: die drei Sonaten für Holzblasinstrumente und Klavier. Sein Leben lang hatte er Sonaten geschrieben – die früheste schon 1842, mit sieben Jahren! Erst 1921 freilich, im Alter von 85 Jahren, wandte er sich der Gattung der Sonate für ein Holzblasinstrument und Klavier zu: „Ich verwende meine letzte Kraft darauf, das Repertoire dieser sonst so vernachlässigten Instrumente zu erweitern“, schrieb er damals einem Freund. Von den geplanten sechs Sonaten konnte er vor seinem Tod nur noch drei vollenden: je eine für Oboe, Klarinette und Fagott mit Klavier (op. 166-168). Am 16. Dezember ist Saint-Saëns in Algier gestorben.

Die Fagottsonate verrät nichts von ihrem Ursprungsort. Arabisches Flair, wie man es in vielen späten Klavierstücken von Saint-Saëns findet, sucht man hier vergebens. Vielmehr handelt es sich um ein durch und durch französisches Stück, freilich mit Anklängen an die Musik Bachs. In ihren zarten Nuancen wirkt die Sonate wie ein sanfter Nachhall auf die Belle Èpoque in Frankreich zu einer Zeit, da die „Grande Nation“ noch unter den Folgen des Ersten Weltkriegs litt und sich musikalisch schon die Moderne ankündigte, von der Saint-Saëns im fernen Algier nichts wissen wollte.

Das einleitende Allegretto ist ein Präludium im Stile Bachs. Die sanft gebrochenen Durdreiklänge des Klaviers wirken wie eine freie Umkehrung des C-Dur-Präludiums aus dem ersten Teil des Wohltemperirten Claviers. Darüber erhebt das Fagott seine Stimme wie der Sänger im „Ave Maria“ von Charles Gounod. Lang gehaltene Töne und Bachsche Vorhalte erinnern an das barocke Vorbild. Der Satz gipfelt in einem Fortissimo des Fagotts, gefolgt von Arabesken und einem zart impressionistischen Ausklang.

Im zweiten Satz, einem Allegro scherzando in e-Moll, kann der Fagottist die buffonesken Qualitäten seines Instruments ausspielen. Seine burschikosen Oktavsprünge paaren sich mit Bachschen Vorhalten im Klavier und dem barocken Rhythmus einer Gigue. Später wetteifern Fagott und Klavier in flinken Läufen miteinander. Das Trio, eine zarte Pastorale in E-Dur, unterbricht zweimal das humoristische Treiben.

Im Adagio darf der Fagottist langen Atem, schönen Ton und perfektes Legato beweisen. Seine lange Melodie ist eine einzige Arabeske, getragen von Staccato-Akkorden des Klaviers. Leise gebrochene Dreiklänge des Pianisten kündigen den sehnsuchtsvollen Mittelteil an. Wieder erinnern die Harmonien an Bachsche Sonaten. Die Wiederholung des Hauptteils gipfelt in einer kurzen Kadenz des Fagotts, woran sich attacca das Finale anschließt. Es ist nicht mehr als eine Art Cabaletta, das auf die Cavatina des Adagios folgt – ein schneller, rauschender Schlussabschnitt.