Sonate d-Moll, op. 9 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Karol Szymanowski

Sonate d-Moll, op. 9

Sonate d-Moll, op. 9 für Violine

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Besetzung

Violine
Klavier

Satzbezeichnung

Allegro moderato. Patetico
Andantino dolce e tranquillo – Scherzando – Thema I
Allegro molto quasi presto

Erläuterung

Als weite Teile der heutigen Ukraine noch polnisch waren, wurde dort 1882 der bedeutendste Komponist der frühen polnischen Moderne geboren: Karol Szymanowski. Der Sohn einer großbürgerlichen, äußerst kunstinteressierten Familie erhielt schon früh Klavierunterricht und lernte auf Reisen mit seinem Vater (u.a. nach Wien) die Musik der Spätromantiker kennen. So entstanden die ersten Klavierstücke bereits um die Jahrhundertwende unter dem Eindruck der großen Werke von Wagner und Brahms. Dem 1903 in Warschau begonnen Kompositionsstudium folgten Aufenthalte in Berlin (1906-08), Italien (1908) und Wien (1912-14), dazwischen immer wieder kürzere Reisen nach Italien und Nordafrika, bevor Szymanowski sich vor den Kriegswirren in seine Heimat zurückzog. Seit seinem letzten Aufenthalt in Wien löste er sich dabei zunehmend aus der spätromantischen Tradition Nun wurden Ravel und Debussy (Pelleas und Melisande), sowie die frühen Ballette Strawinskys seine neuen Vorbilder.

Seinen Ruf als Vater der polnischen Moderne begründete Szymanowski in den Zwanziger Jahren. Sie waren wieder geprägt durch zahlreiche Reisen, aber auch durch seine Lehrtätigkeit am Warschauer Konservatorium, dessen Direktor er 1927 wurde. Die vorwiegend symphonischen Werke der spätromantischen Phase wurden nun durch Ballette, Opern und Kammermusik abgelöst. Szymanowski litt in jener Zeit stark unter dem konservativ engen Warschauer Musikleben, das seinem kosmopolitischen Geist nicht entsprach. Deshalb kam es immer wieder zu Brüchen mit der Verwaltung des Konservatoriums, die 1930 sogar zu einem kurzzeitigen Rücktritt führten. Dennoch lehnte er 1927 ein Angebot des Konservatoriums in Kairo zugunsten Warschaus ab, denn schon längst fußte seine Musik tief in der polnischen Folklore, die er ähnlich intensiv studierte und ausschlachtete wie seine Zeitgenossen Bartók und Kodály in Ungarn. Den tragischen Untergang Warschaus in den Stürmen des Zweiten Weltkriegs musste er nicht mehr miterleben: Bereits 1937 starb Szymanowski in Lausanne an Tuberkulose.

Kammermusik macht nur einen sehr kleinen Teil seines Œuvres aus. Neben den beiden Streichquartetten op. 37 und op. 56 existieren lediglich einige Duos für Violine und Klavier, eine frühe Violinsonate und eine frühes Klaviertrio, das der Komponist später allerdings zurückzog. In all diesen Werken manifestieren sich die vielfältigen Einflüsse von außen, wie sie den jungen Komponisten prägten, aber auch seine „fanatische Liebe zur Idee Polens“. Erst nach dem Ersten Weltkrieg bot sich endlich die Gelegenheit, diese Liebe in einem freien Polen auszuleben. Als Szymanowski mit 22 Jahren in Warschau seinen ersten Kompositionsunterreicht erhielt und seine frühe Violinsonate Opus 9 komponierte, standen weite Teile des Landes noch unter russischer, preußischer und österreichischer Herrschaft.

Deutlich handelt es sich um eine Sonate unter Brahmsschen Vorzeichen – besonders im pathetischen ersten Satz, der den Duktus der dritten Brahmssonate in d-Moll aufgreift, aber auch in der Synthese aus Andante und Scherzo im langsamen Satz. Melodik und Klang sind freilich eher von César Franck inspiriert, für dessen A-Dur-Sonate der junge Szymanowski damals leidenschaftlich schwärmte. Dies hört man besonders dem ersten Satz an, einem Allegro moderato, dessen zwei Themen direkt von Brahms und Franck inspiriert erscheinen. Den Zusatz Patetico löst die Violine gleich zu Beginn mit dem hochfahrenden Hauptthema und einer pathetischen kurzen Kadenz ein. Immer wieder bricht sich in der Violinstimme die ungehemmte Leidenschaft Bahn in virtuosen Ausbrüchen mit dem Zusatz con Passione oder quasi Cadenza. Zu innigem Dialog mit dem Klavier kommt es dagegen im zarten Seitenthema mit seinen französisch-franckisch angehauchten Melodiebögen. Ansonsten sorgen der massive Klaviersatz, das ständige Nachlassen und Anziehen des Tempos und die dynamische Spanne vom dreifachen Piano bis zum dreifachen Forte für ein spätromantisch pathetisches Dialogisieren par excellence – unbändig, um nicht zu sagen: zügellos, wie es von einem jungen Komponisten jener Epoche kaum anders zu erwarten war.

Das Andantino tranquillo e dolce beginnt in der Tat „ruhig und zart“ – mit einer Klaviermelodie in hoher Lage, einer Hommage an Chopin. Die Violine meldet sich wieder mit einer Quasi Cadenza zu Wort, bevor sie das Klavierthema aufgreift und allmählich zu größter Emphase steigert, getragen von rauschenden Arpeggi des Klaviers. Plötzlich schlägt die Musik um in ein Scherzando in a-Moll, eine ganz leise, zarte Mazurka, die von der Geige mit gezupften Saiten, vom Klavier leggiero gespielt wird. Dieser kurze Scherzo-Einschub mündet in eine weitere Violinkadenz, die in die variierte Reprise des A-Dur-Hauptteils überleitet.

Das Finale, Allegro molto quasi presto, wird vom Klavier mit vierfachen Oktaven auf dem hämmernden A eröffnet, bevor das d-Moll-Hauptthema in Brahmsscher Manier losstürmt. Im wirbelnden Sechsachteltakt kommt es zu einem furiosen Schlagabtausch zwischen den Instrumenten. Auf dem Höhepunkt des Pathos schlägt das d-Moll plötzlich in befreiendes D-Dur um. In der rasend schnellen Coda klingt das Seitenthema aus dem Kopfsatz noch einmal an – im Sinne jener zyklischen Vereinheitlichung, wie sie Franck in seiner Violinsonate vorgezeichnet hatte.

Bei der Uraufführung der Sonate 1909 in Warschau saß der junge Arthur Rubinstein am Flügel, Paul Kochanski übernahm den Violinpart. Zwei Jahre später erschien das Werk als Opus 9 im Druck.