Streichquintett fis-Moll, op. 63 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Walter Braunfels

Streichquintett fis-Moll, op. 63

Streichquintett fis-Moll, op. 63 für 2 Violinen, Viola und 2 Violoncelli

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Besetzung

Violine I
Violine II
Viola
Violoncello I
Violoncello II

Satzbezeichnung

Allegro
Adagio
Scherzo. Vivace energico (non troppo Presto) – Trio. Moderato

Erläuterung

Der Frankfurter Komponist Walter Braunfels war ein Zeitgenosse von Béla Bartók und Igor Strawinsky. Schon vor dem Ersten Weltkrieg begann er seine Karriere als erfolgreicher Opernkomponist und Sinfoniker, die ihm in den Jahren der Weimarer Republik internationale Anerkennung verschaffte, weshalb man ihn auch 1925 zum Gründungsdirektor der Kölner Musikhochschule berief. Doch die Nazis entfernten den „Halbjuden“ 1933 aus dem Amt und belegten ihn mit Aufführungsverbot. Braunsfels zog sich an den Bodensee und in die innere Emigration zurück. Unmittelbar nach Kriegsende aber wurde er von Konrad Adenauer persönlich wieder in sein Amt eingesetzt – zu einer Zeit, als sein spätromantischer Stil schon hoffnungslos veraltet wirken musste.

Der berühmte Dirigent Bruno Walter schrieb über Walter Braunfels folgendes: „Er war der Sohn des deutschen Übersetzers spanischer Dramen Ludwig Braunfels und Schwiegersohn des Bildhauers Adolf Hildebrand. Er folgte im künstlerischen Schaffen zwei Grundtrieben seines Wesens, einer dramatischen Erfülltheit und einer intensiven Religiosität, die beide ihren musikalisch interessanten, ja gelegentlich bedeutenden Ausdruck in seinen Werken fanden. Ich selbst habe außer den Vögeln in der Münchener Oper sein sehr schönes, inniges Te Deum mit dem Münchener Lehrergesangverein im Odeon und später noch einmal mit dem Wiener Philharmonischen Chor im dortigen Konzerthaus, ferner seine geistreichen Orchestervariationen über ein Thema von Berlioz in Berlin, Leipzig und New York aufgeführt. Braunfels, Direktor der Kölner Hochschule für Musik, war ein vortrefflicher Pianist und zugleich gründlicher Kenner der Kirchenmusik. 1933 zwangen ihn die Nazis, von seiner Kölner Stellung zurückzutreten, und er zog sich mit seiner Familie in ein kleines Dorf am Bodensee zurück. Dort benützte er die ihm vom Schicksal auferlegte Muße, um eine Oper nach Grillparzers Der Traum ein Leben zu schreiben, die ich noch als Leiter der Wiener Oper annehmen, aber nicht mehr zur Aufführung bringen konnte. [ … ] Er versenkte sich mehr und mehr in die katholische Gedanken- und Gefühlssphäre und spielte mir noch zuletzt Teile einer Oper nach einem Mysterienspiel des Dichters Paul Claudel vor.“

Es lohnt sich, die Stationen seiner Biographie und seine Hauptwerke etwas genauer zu beleuchten: Braunfels wurde im Dezember 1882 in Frankfurt am Main geboren. Sein Vater, der Jurist und Dichter Ludwig Braunfels, war schon 72, als sein Sohn zur Welt kam, die Mutter erst 40. Bereits mit 13 Jahren wird der kleine Walter an Dr. Hoch’s Konservatorium angenommen, wo er musikalisch gründlich ausgebildet wird. Dennoch beginnt er nach dem Abitur 1901 zunächst mit einem Wirtschaftsstudium, bevor doch die Musik die Oberhand behält. „Für ein Jahr zieht er 1902 nach Wien, um seine pianistischen Fertigkeiten bei Theodor Leschetitsky zu vervollkommnen und lernt Theorie bei Karl Nawratil. Ab 1903 ist er in München, wo er Kompositionsunterricht bei Ludwig Thuille erhält. Dort trifft er auf die für ihn prägende Lehrerpersönlichkeit: den Dirigenten Felix Mottl.“ (Susanne Bruse)

1903 wird Braunfels Mottls Assistent am Münchner Nationaltheater und konzertiert in der gleichen Zeit auch als Pianist. Als der bekannte Dirigent Hermann Abendroth 1909 in Lübeck die Symphonischen Variationen von Braunfels aus der Taufe hebt, beginnt seine Komponistenkarriere. Schon folgt die erste Oper, Prinzessin Brambilla nach E.T.H. Hoffmann, deren Uraufführung Max von Schillings in Stuttgart leitet. „Im gleichen Jahr heiratet er Berta von Hildebrand, jüngste Tochter des Bildhauers Adolf von Hildebrand. Der erste Weltkrieg (Einberufung 1915, Fronteinsatz in Frankreich, Verwundung) stellt nicht nur in musikalischer Hinsicht einen Wendepunkt in seinem Leben da. Traumatisiert durch die Fronterlebnisse und dankbar, das Inferno überlebt zu haben, konvertiert der Protestant Walter Braunfels zum Katholizismus. Seine Oper Die Vögel (nach Aristophanes), 1920 von Bruno Walter im Münchner Nationaltheater uraufgeführt, wird zum Sensationserfolg und bedeutet seinen eigentlichen Durchbruch.“ (Bruse)

Viele Werke jener Jahre wie etwa das Te Deum, die große Messe oder die Don Juan-Variationen finden das Interesse großer Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler, Bruno Walter und Otto Klemperer. 1925 schließlich wird Braunfels zusammen mit Hermann Abendroth zum Gründungsdirektor der Kölner Musikhochschule berufen. Acht Jahre später gerät der „Halbjude“ in die Mühlen des Rassenhasses: Die Nazis entheben ihn 1933 seines Amtes und belegen ihn mit Aufführungsverbot. „Ausdrücklich untersagt ihm die Reichsmusikkammer jedwede musikalische Betätigung. Da er sich nicht in der Lage sieht zu emigrieren, zieht er mit seiner Familie an den Bodensee, nahe der grünen Grenze zur Schweiz. Zwischen 1933 und 1945, in der inneren Emigration, entstehen unter anderem drei Opern, Die Verkündigung (nach Paul Claudel), Traum ein Leben (nach Grillparzer) und Jeanne d’Arc (nach den Prozessakten der Johanna von Orleans), vier Kantaten, drei Streichquartette und das Streichquintett fis-Moll. 1945, nach Kriegsende, setzt Konrad Adenauer Walter Braunfels wieder als Direktor der Kölner Musikhochschule ein. Während der Zeit des Wiederaufbaus und auch nach seinem Eintritt in den Ruhestand 1950 entstehen noch diverse Kompositionen, u. a die Sinfonia Concertante op. 68, die Sinfonia brevis op. 69, die Hebridentänze op. 70 und ein Passionsspiel op. 72. Er stirbt am 19. März 1954 in Köln. Nach 1945 konnten sich seine Werke nur schwer gegenüber der favorisierten seriellen Musik behaupten. Seit den 90er-Jahren werden seine Kompositionen, die eigenständig zwischen Spätromantik und Klassischer Moderne stehen, wieder häufig und mit internationalem Erfolg aufgeführt.“
(Susanne Bruse)

Zeitgenossen beschrieben Braunfels immer wieder als einen Unzeitgemäßen, einen verspäteten Romantiker: „Hier ist wirkliche Musik – unzeitgemäß, aber an solchen Stellen beinahe zeitlos“ (Alfred Einstein). „Melodie blüht auf, als wäre in der Luft der skeptischen modernen Bühne noch einmal die blaue Blume der Romantik aufgeblüht.” (E. Bienenfeld) Das Werk durchläuft so ziemlich die ganze Skala menschlicher Empfindungen von grotesk phantastischem Humor bis zu leidenschaftlicher Innigkeit und intensivster Weihestimmung“ (Albert Noelte). „Wenn ich so nach einiger Zeit wieder hineinschaue, bin ich frappiert über die Treffsicherheit, die Menge rhythmischer Ideen, ganz abgesehen davon, dass der Stil in seiner Reinheit aus dem was sonst heute gemacht wird, weit herausfällt“ (Wilhelm Furtwängler). Ähnliches ließe sich über das Streichquintett Opus 63 sagen, das Braunfels 1945 komponiert hat, in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs.

Der erste Satz ist ein Allegro in klassischer Sonatenform mit drei Themen in drei verschiedenen Tempi. Das Hauptthema steht in fis-Moll, Allegro, ein Geigenduett in tiefer Lage. Das zweite Thema hebt im vollen Streichersatz in B-Dur an (Più moderato, Tempo II), ein Gesang der ersten Geige, getragen von Triolen (leggiero, molto dolce sempre). Das dritte Thema ist „doppelt so langsam wie anfangs“ (Tempo III) und wird von einer rhapsodisch freien Melodie der zweiten Geige eröffnet, die erstes Cello und erste Geige aufgreifen. Der Rest des langen Satzes besteht aus der Durchführung der Themen im steten Wechsel zwischen den drei Tempi, aus der Reprise des Hauptthemas im dreifachen Forte mit Triller und aus einer Coda, die im ruhigen Duktus mit dem zweiten Thema in fis-Moll einsetzt, dann aber immer schneller wird bis zum grandiosen Schluss (Molto Allegro, Pesante, fff in fis-Moll).

Das Adagio ist zweifellos der Höhepunkt des Quintetts, ein so ausdrucksstarker Gesang in cis-Moll, wie ihn 1945 wohl nur ein verspäteter Romantiker in der inneren Emigration schreiben konnte. Der Satz hebt rhapsodisch an: mit Soli der ersten Geigen in Triolen, die so frei wirken wie eine Improvisation (rubato e molto lento). Erst im zehnten Takt setzt die wundervolle Melodie der ersten Geige ein (espressivo ma dolce). Sie wird von einem „Herzschlag“ aus ganz leisen Triolen getragen und schwingt im großen Dreiermetrum (9/8-Takt), fast wie im Adagio von Schuberts Streichquintett. Auch ein dramatischer Agitato-Einschub in d-Moll (mit Cellosolo) hat bei Schubert sein Vorbild. Später kehrt sehr ruhig (molto tranquillo) der ätherische Gesang der ersten Geige wieder, nun von einem neuen Klanggrund getragen. Ein zweites Mal verdrängt das Agitato die Idylle, noch wilder und bewegter als beim ersten Mal. Ein letzter, zarter Anklang an das erste Thema beendet den Satz.

Das Scherzo ist ein kraftvolles Vivace energico im Dreiertakt, eine Art ruppiger Walzer in stark chromatischem a-Moll. Das Trio steht deutlich langsamerem Tempo (Moderato, doppio lento). Es beginnt mit federleichten Staccato-Triolen in den beiden Geigen, grundiert von einem Pizzicato-Flageolett des ersten Cellos. Auf diesem Klanggrund „singt“ das zweite Cello eine süße, chromatische Weise, die von den anderen aufgegriffen wird, stets umschwirrt von den raschen Triolen. Am Ende wird der Hauptteil des Scherzos wiederholt.

Das Finale hat Braunfels selbst als Rondo bezeichnet. Bevor das muntere Rondothema in cis-Moll-dorisch einsetzt – ein rustikaler Volkstanz , spielen die Streicher eine feierliche langsame Einleitung, die nach zwölf Takten zum Vivace beschleunigt wird – eine Art Vorhang vor dem „Auftritt“ des Rondothemas. Dessen Reiz liegt einerseits in den rhythmischen Verschiebungen der Melodie gegen den graziösen Klanggrund, andererseits in den ruppigen C-Dur-Einschüben mit Springbogen in der ersten Geige. Das erste Couplet ist ein erregter Einschub in f-Moll aus lauter Synkopen (Agitato), das zweite ein „etwas ruhigerer“ Abschnitt im wiegenden Duktus über gezupften Cellosaiten (Poco più tranquillo). Dazwischen kehrt das Rondothema im Dreier statt im Vierertakt wieder. Im letzten Durchlauf wird es auf witzige Weise verzögert und wieder beschleunigt. Schließlich geht es in ein ausgelassenes Presto über, die Stretta des Finales im befreienden Fis-Dur.