David’s Song | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Anatolijus Šenderovas

David’s Song

David’s Song für Violoncello und Streichquartett

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Bestezung

Violoncello solo
Violine I
Violine II
Viola
Violoncello

Satzbezeichnung

I Cadenza, Senza metrum, con ira, recitativo
II (Viertel ca. 100)
III Senza metrum
IV (Viertel ca. 168)
V Moderato
Coda (unreal)

Erläuterung

„David Geringas hat ein kompositorisches ‚alter ego’: den ein Jahr älteren Anatolijus Šenderovas, mit dem er den litauisch-jüdischen Hintergrund teilt.“ So schrieb Ingo Hoddick in seiner Laudatio auf Geringas zu dessen 60. Geburtstag, den der Cellist 2006 unter anderem in der Kronberg Academy feierte. Gratuliert wurde ihm damals natürlich auch von Anatolijus Šenderovas, nämlich mit einem neuen Werk für Cello und Streichquartett, das in Kronberg uraufgeführt wurde: David’s Song für Cello und Streichquartett. Dieses ganz persönliche Geschenk, „sein“ Lied, spielt Geringas im heutigen Konzert in Vorfreude auf den runden Geburtstag seines Komponistenfreundes: Anatolijus Šenderovas wird Mitte August seinen 70. Geburtstag feiern.

Anatolijus Šenderovas wurde am 21. August 1945 in Uljanovsk in Russland geboren. Von Minsk, wo er seine ersten Lebensjahre verbrachte, zog seine Familie in die litauische Hauptstadt Vilnius. Dort studierte er 1962–67 am Staatskonservatorium bei Eduardas Balsys und nahm zugleich Kompositionsunterricht bei dem Schostakowitsch-Schüler Orest Evlachov am Leningrader Konservatorium. 1990 ging er mit einem Stipendium an die Rubin Academy der Universität Tel Aviv, um jüdische Musik zu studieren. Dieses Studium hat auch in David’s Song seine Spuren hinterlassen, denn unverkennbar jüdische Melodien durchziehen das Werk.

Weitere Informationen zu Šenderovas und seinem Werk finden sich auf der Website des Projekts So klingt Europa – Das Bundesfinanzministerium präsentiert die Euroländer (siehe www.so-klingt-europa.de): „Anatolijus Šenderovas hängt nicht einer bestimmten Kompositionsmethode an. Er hat drei Ballette, drei Symphonien, ein Oratorium und sieben Solokonzerte komponiert (drei Cello-Konzerte und Konzerte für Violine, Gitarre, Akkordeon und Schlagzeug), außerdem eine Vielzahl von symphonischen Werken, Kammer- und Vokalmusik sowie Musik für Schauspiel und Film. Kennzeichnend für seine Musik ist die gemäßigt moderne Sprache, ihre heitere Emotionalität und der Schwerpunkt auf sakralen Themen. Die Stücke von Anatolijus Šenderovas fügen sich perfekt in die europäische Neue Musik ein und wurden bei mehr als 50 internationalen Musikfestivals und in Konzerthallen weltweit aufgeführt. Er wurde als Composer in Residence und Gastkomponist zu zahlreichen Musikfestivals eingeladen … Der Komponist hat viele renommierte Auszeichnungen für seine Werke erhalten, wie den Litauischen Nationalpreis, die höchste Auszeichnung des Landes für hervorragende künstlerische Leistungen. Außerdem wurde er beim Europäischen Musik Sommer Berlin 2002 mit dem Europäischen Komponistenpreis geehrt (für sein David Geringas gewidmetes Concerto in Do) und erhielt 2008 von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO, Schweiz) den Creative Award und die Gold Medal. Daneben ist er Träger des Ordens des Litauischen Großfürsten Gediminas (1995) und des Litauischen Verdienstordens (2006).“ Auf derselben Website kann man übrigens auch David’s Song nachhören.

In David’s Song hat Šenderovas ein sehr persönliches Porträt seines Freundes David Geringas gezeichnet. Das Werk ist in fünf Sätze und eine Coda unterteilt, die alle ineinander übergehen und einen dramaturgischen Bogen entwerfen. Am Anfang steht ein rhapsodisches Solo des Cellos, eine Art zorniges Rezitativ, worauf die Anweisung „con irae“ („mit Zorn“) hinweist. Nach diesem cholerischen Ausbruch beruhigt sich das Gemüt des Solisten. Er geht zu einem Adagio der langen, leisen Töne über, vom Streichquartett mit vibratolosen Klängen am Steg und mit Tremolo begleitet. Aus der träumerischen Atmosphäre dieser Klangflächen tritt im nächsten Satz ein wunderschönes Geigensolo heraus, ein jüdischer Gesang, den das Cello aufgreift. Das Duett der beiden Instrumente ist der atmosphärische Höhepunkt des Stückes. Man ist fast versucht, an den biblischen David zu denken, der mit seiner sanften Stimme und seinem Harfenspiel den Jähzorn des Königs Saul besänftigen konnte. Was sich daran anschließt, ist eine groteske Tanzszene. Erst stimmen die Musiker ihre Instrumente, dann spielen sie zum Tanz auf. Mit ihrem dauernden Pizzicato treiben die Quartettstreicher den Cellisten in einen wütenden, fast verzweifelten Tanz hinein. Plötzlich fangen sie an zu sprechen bzw. zu singen „Tatatatata“. Ihr Geflüster, ihre Schreie und Pfiffe lassen den Solisten schließlich anhalten. Er fragt: „Was wollt Ihr von mir? Wollt Ihr, dass ich tanze?“ Nun beginnt der wildeste Teil der Tanzszene, die am Ende wieder in ein wütendes Rezitativ mündet. Anschließend beruhigt sich noch einmal die Szene. Die stillen Klänge aus dem zweiten Satz kehren zurück, dann das Geigensolo aus dem dritte Satzn, bis plötzlich im Cello eine ganz banale C-Dur-Melodie erklingt. Dieser ironische Schlenker mündet zum Schluss wieder in das zornige Deklamieren des Anfangs.

Karl Böhmer