Sonata da camera (1948) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Hans Werner Henze

Sonata da camera (1948)

Sonata da camera (1948)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Allegro assai

Dolce, con tenerezza

Lento

Allegretto

Epilogo

Erläuterung

Hans Werner Henze liebte Italien. Der Komponist und überzeugte Kommunist aus Ostwestfalen fand im Italien der Fünfziger Jahre eine neue Heimat – gleichsam ein Asyl, um dem als bedrückend empfundenen Nachkriegsdeutschland zu entfliehen. In Marino unweit von Rom hat er fast sein ganzes späteres Leben verbracht. Dort ist er auch bestattet worden, obwohl ihn der Tod ausgerechnet im ungeliebten Deutschland ereilte:

Die Sehnsucht nach dem Süden spürt man schon in seinen allerersten Werken aus den späten Vierziger Jahren wie etwa in der Sonata da camera für Klaviertrio von 1948. Sie ist eine eigenwillige, sperrig dissonante Huldigung an die „Kammersonaten“ eines Arcangelo Corelli für zwei Violinen und Basso continuo. Freilich verwendete Henze die Besetzung des klassischen Klaviertrios: Violine, Violoncello und obligates Klavier.

Das elfminütige Stück ist in fünf knappe Sätze gegliedert, die sich so bunt aneinanderreihen wie die Sätze einer barocken „Kammersonate“. Der erste Satz ist ein neutönendes Allegro, das mutwillig brutal einsetzt, sich dann aber in skurrilen Episoden verliert: ein kurzes zögerliches Anhalten hier, eine Scherzo-Episode im Dreiertakt da. Trotz der atonalen Tonsprache und der immer wieder zusammengeballten Klänge machte der junge Henze aus seiner Neigung zur Klangsinnlichkeit keinen Hehl. Den „vollen, wilden Wohlklang“ erhob er damals zu seinem Ideal.

Im zweiten Satz wird dieser „schöne neue Klang“ zu südlicher Süßigkeit gesteigert, ganz der Überschrift entsprechend: dolce, con tenerezza, „süß, mit Zärtlichkeit“. Das Klavier setzt mit leisen, impressionistischen Akkorden ein, die an Debussy erinnern. Die Streicher treten hinzu und spielen einen zweistimmigen Kontrapunkt aus langen, träumerischen Linien. Fast vier Minuten dauert ihr Duett, von zartester Klavierbegleitung getragen. Henze selbst erklärte, er habe in der Sonata da camera „Wechselspiele zwischen Kontrapunktik und Cantabilità“ angestrebt. Im zweiten Satz ist ihm dies am schönsten gelungen.

Als dritter Satz folgt ein Lento, ein weiterer langsamer Satz, der aber in wuchtigem Unisono beginnt und später wuchtige Klavierakkorde mit zerfahrenen Streicherlinien kombiniert. Dazwischen kehrt freilich die träumerische Atmosphäre des zweiten Satzes wieder.

Das folgende Allegretto ist ein ganz kurzes, groteskes Scherzo, eine Tanzszene von kaum einer Minute Länge, die aus lauter leichten Tanzschritten, Pizzicati und Geigenschluchzern zusammengesetzt ist.

Als Henze dieses klangsinnliche Klaviertrio komponierte, war er noch Kompositionsstudent bei Wolfgang Fortner in Heidelberg und eifriger Besucher der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik. Da ihm Fortner die Zwölftontechnik Schönbergs nicht beibringen wollte, ging er zu René Leibowitz nach Paris. Schon zuvor hatte er das Reihenprinzip in seinen ersten bedeutenden Werken angewandt wie der Sonata da camera. Sie gehört in eine Reihe aufsehenerregender Frühwerke aus den Jahren 1947 und 1948: Mit seinem ersten Violinkonzert und seinem ersten Streichquartett von 1947 bekannte sich Henze damals zu traditionellen Formen mit neuem Inhalt, ebenso in seiner ersten Oper Das Wundertheater von 1948. Überall herrschte in diesen Werken – wie in der Sonata da camera – das Ideal des „vollen, wilden Wohlklangs“.

Eine Ironie des Schicksals ist es, dass der Wahlrömer Henze, der Liebhaber Italiens, Ende Oktober 2012 ausgerechnet im ungeliebten Deutschland verstorben ist: Mitte September 2012 erlebte er noch die Spielzeiteröffnung der Semperoper in Dresden mit seinem Stück Wir erreichen den Fluss. Sechs Wochen musste sein Leichnam von Sachsen ins geliebte Marino bei Rom transportiert werden, wo er beigesetzt wurde.