Nachgelassene Etüden in Form von Variationen | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Schumann

Nachgelassene Etüden in Form von Variationen

Nachgelassene Etüden in Form von Variationen (Anhang zu den Symphonischen Etüden, Opus 13)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Thema. Andante
Variation I. Andante Tempo del tema
Variation II. Meno mosso
Variation III. Allegro
Variation IV. Allegretto
Variation V. Moderato

Erläuterung

Als Robert Schumann 1835 seine Etüden in Form von Variationen veröffentlichte, sie unter dem Namen Symphonischen Etüden berühmt wurden, ließ er fünf Variationen fort, die er in der Druckfassung nicht berücksichtigen konnte. Sie bilden den Anhang zu Opus 13 und werden von Lera Auerbach als selbständiger kleiner Zyklus zusammen mit dem Thema gespielt. Sie schreibt dazu: „Die meisten Pianisten integrieren diese nachgelassenen Etüden in der ein oder anderen Form in den Zyklus der XII Études Symphoniques. Schumann verwarf sie für den Erstdruck des Opus13, doch 1861 wurden sie von Schumanns Schwiegervater in der dritten Auflage dann doch herausgegeben. Ich führe sie zusammen mit dem Thema als unabhängigen, kurzen Zyklus auf, was sehr schön funktioniert und ein viel respektvollerer Weg ist, mit ihnen umzugehen.“

Als Robert Schumann daran ging, seinen größten Band von Etüden zu schreiben, hatte er bereits Chopins Konzertetüden Opus 10 vor Augen. In der Romantisierung des Genres ging Schumann noch einen Schritt über sein Vorbild hinaus, indem er die Idee der Etüde mit der Form von Variationen verband. Auch darin war ihm Bach Lehrmeister: Wie der Thomaskantor in den „Goldbergvariationen“ die jeweils zweite Variation der Dreiergruppen in eine technische Etüde verwandelt hatte, dabei aber stets auf dem Boden der gleichen Harmoniefolge geblieben war, so nahm sich nun auch Schumann ein einziges Thema zur Grundlage für zwölf Etüden, die zugleich Variationen des Themas waren. Deshalb lautet der Originaltitel von Schumanns Opus 13 Etüden im Form von Variationen. Erst im Untertitel kreierte Schumann jenen Begriff, den die Nachwelt zum eigentlichen Titel des Opus erkoren hat: Symphonische Etüden. „Symphonisch“ meint hier die thematische Arbeit mit dem Thema, aber auch die geheimen Orchesterstimmen, die sich im Klaviersatz verbergen. Deshalb wollte der Komponist das Opus ursprünglich „Variationen von orchestralem Charakter“ nennen, während ein anderer verworfener Titel den ernsten Ausdruck betont hätte: „Pathetische Variationen“. Nach den Worten des französischen Schumannforschers Marcel Beaufils zählen die Symphonischen Etüden zu den „großen Hymnen auf die tränenreichen Freuden der Starken …, eine der höchsten Eingebungen Schumanns“, ein „athletisches Werk“.

Bei der pianistischen „Athletik“ seines Opus 13 dachte Schumann weniger an sein eigenes Klavierspiel als vielmehr an die pianistischen Künste seines damaligen Lebens- und Kunstgefährten Ludwig Schunke, der im Dezember 1833 nach Leipzig gekommen war, freilich bereits im Herbst 1834 an Tuberkulose starb. Von seinem Klavierspiel schrieb Schumann bewundernd: „Ja, ihn spielen zu hören! Wie ein Adler flog er und mit Jupiterblitzen, das Auge sprühend, aber ruhig, jeder Nerv voll Musik.“ Noch eine andere Klavier- und Liebesbeziehung des Jahres 1834 spielte in die Symphonischen Etüden mit hinein: das Verhältnis zu Ernestine von Fricken. Von ihrem Vater, einem reichen Baron aus dem böhmischen Städtchen Asch, war sie zum Klavierstudium nach Leipzig geschickt worden, und zwar zu Friedrich Wieck, dem Lehrer Schumanns und Vater der damals gerade berühmt werdenden Clara Wieck. Die fünfzehnjährige Clara war damals schon in Schumann verliebt und musste nun Ernestine als ältere und reifere Nebenbuhlerin tränenreich hinnehmen. Wenigstens pianistisch konnte die junge Frau aus Böhmen Clara nicht das Wasser reichen, ansonsten aber begeisterte sich Schumann so für Ernestine, dass er schon an Heirat dachte. Als er aber erfuhr, dass sie nur die Adoptivtochter ihres Vaters war und keinerlei Anspruch auf dessen Einkünfte erheben konnte, ließ er sie fallen. Nur eine reiche Heirat wäre für den mittellosen Komponisten in Frage gekommen.

Dem Vater Ernestines, Baron von Fricken, verdankte Schumann nicht nur diverse Einladungen nach Asch, sondern auch das Thema der Symphonischen Etüden. Der Erstdruck weist eigens darauf hin, dass die Melodietöne (nicht die Akkorde) der Einfall eines „Amateurs“ seien. Ob diese Melodie von Baron von Fricken selbst stammte oder ob dieser Schumann nur das Thema eines Freundes geschickt hatte, ist unklar. Jedenfalls ließ sich der Komponist vom melancholischen Zauber dieses cis-Moll-Themas mit seinen fallenden Dreiklängen anstecken. Schumanns Variationen sind Charaktervariationen im Beethovenschen Sinne und oft genug „symphonisch“ empfunden. Dabei werden den zwölf gedruckten Variationen heute meistens noch jene fünf Variationen hinzugefügt, die Schumann vor der Drucklegung aussortierte. Lera Auerbach beschränkt sich im heutigen Konzert auf diese nachgelassenen Etüden, den Anhang zum Opus 13.

„Jede dieser Etüden ist ein eigenständiges Charakterstück von beachtlichem Ausmaß. Brillanz und Polyphonie, Energie und Expressivität sind die bestimmenden Komponenten dieses pianistischen Mammutwerks … Schumann ist überzeugt, dass dieses Werk beim allgemeinen Publikum nicht ankommen wird, und rät Clara von einer öffentlichen Aufführung ab.“ (Martin Demmler) Dennoch war es Clara, die das Opus in einem Klavierabend im Leipziger Gewandhaus aus der Taufe hob. Alle bösen Gedanken an Ernestine von Fricken und die Eifersucht des Jahres 1834 musste sie dabei unterdrücken.