Streichquartett Nr. 9 Es-Dur, op. 117 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Dimitri Schostakowitsch

Streichquartett Nr. 9 Es-Dur, op. 117

Streichquartett Nr. 9 Es-Dur, op. 117

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Moderato con moto
Adagio
Allegretto
Adagio
Allegro

Erläuterung

Dimitri Schostakowitsch, der größte russische Komponist des 20. Jahrhunderts, hat 15 Streichquartette geschrieben, die in drei Werkgruppen untergliedert werden können: Die ersten sechs Quartette bilden eine mehr oder weniger geschlossene Gruppe, ebenso die „späten“ Quartette Nr. 10 bis 15. Am deutlichsten zyklisch ist die mittlere Trias, denn die Quartette Nr. 7 bis 9 wurden sämtlich als tief persönliche Widmungskompositionen geschrieben. Nr. 7 komponierte Schostakowitsch zur Erinnerung an seine verstorbene erste Frau, das berühmte 8. Quartett als Mahnmal für die Opfer des Zweiten Weltkriegs und des Faschismus, das 9. Quartett widmete er seiner dritten Frau, Irina Antonovna. Wie man heute weiß, wollte der Komponist nach dem Offenbarungswerk seines 8. Quartetts Selbstmord begehen. Nachdem er diese tiefe Depression überwunden hatte, schrieb er im Frühjahr 1964 sein 9. Quartett, und zwar in Es-Dur, der parallelen Durtonart von c-Moll, der Schicksalstonart des 8. Quartetts. In den ersten Sätzen seines neuen Quartetts vermied Schostakowitsch fast panisch die Tonart c-Moll, was Robert Matthew-Walker psychologisch gedeutet hat: „Es scheint, als habe das Es-Dur des neuen Quartetts, das er für seine dritte Ehefrau schrieb, die Selbstmordneigungen verdrängt, die im c-Moll des vorherigen Quartetts impliziert waren. Erst im Finale des Es-Dur-Quartetts stellte sich Schostakowitsch dem Problem noch einmal.“

Tatsächlich ist das Finale der bei weitem gewichtigste Satz des 9. Quartetts. Dies wird auch daran hörbar, dass die vier vorangehenden Sätze eher kompakt sind und nahtlos ineinander übergehen. Es handelt sich um ein Moderato in Es-Dur, das von geheimnisvollen, lang ausgehaltenen Oktaven in Viola und Violoncello eröffnet wird, um ein Adagio in fis-Moll, das um das Motiv der kleinen Terz kreist, um ein Allegro in derselben Tonart, das zum ersten Mal kraftvolle rhythmische Akzente setzt, und schließlich um ein Adagio, das durch instrumentale Rezitative sprechenden Ausdruck gewinnt. Alle vier Sätze zusammen nehmen eine gute Viertelstunde in Anspruch, das Adagiofinale dagegen alleine mehr als zehn Minuten – „fast ein Streichquartett Nr. 9a“, wie Robert Matthew-Walker meinte: „Inhalt dieses großartigen Satzes ist das heftige Ringen um die Bestätigung der Grundtonart Es-Dur. Dabei wird Material aus dem gesamten Quartett wieder aufgegriffen und mit einer Intensität des Ausdrucks verarbeitet, die erstaunt. Ein scheinbar neues, folkloristisches Thema im Zweiertakt muss sich gegen den dominanten, hektischen Dreiertakt behaupten. Ein eruptives Rezitativ des Cellos erinnert an den vierten Satz. Krone des Satzes ist eine atemberaubende Fuge über das erste Thema, an deren Ende sich endlich Es-Dur gegen c-Moll behaupten kann.“ Mit diesem Finale bannte Schostakowitsch die Geister der stalinistischen Ära, die ihm sein destruktives 8. Quartett diktiert hatten, und schlug ein neues Kapitel in seinem Leben auf.