Cellokonzert A-Dur, Wq 172 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Carl Philipp Emanuel Bach

Cellokonzert A-Dur, Wq 172

Cellokonzert A-Dur, Wq 172

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Allegro
Largo e mesto
Allegro assai

Erläuterung

Im März 2014 jährt sich zum 300. Mal der Geburtstag des zweitältesten Bachsohnes Carl Philipp Emanuel. Als „Berliner“ oder „Hamburger Bach“ ist er in die Geschichte eingegangen, wobei schon mancher Zeitgenosse in ihm den bedeutendsten der vier komponierenden Bachsöhne sah. So schrieb etwa Johann Georg Pisendel, der Dresdner Konzertmeister, kurz nach dem Tod des Vaters: „Wer der alte Bach gewesen, weiß ich wohl, aber auch daß seine Söhne außer dem in Berlin, der auch sehr gut, ihm nicht das Wasser reichen.“ Die Musikwelt wird sich im nächsten Jahr intensiver als sonst der hoch bedeutenden Sinfonien, Konzerte und Sonaten des „Berliner Bach“ annehmen, auch seiner Oratorien und sonstigen Vokalmusik. Villa Musica wird Ende Juli 2014 in drei Konzerten weltliche Kantaten von Carl Philipp mit der „Kaffeekantate“ seines Vaters kombinieren (in Mainz, Engers und Bad Kreuznach). Schon jetzt weisen wir auf das kommende Jubiläumsjahr hin – durch die Aufführung seines Cellokonzerts in A-Dur.

Am 8. März 1714 konnten sich der damalige Weimarer Hoforganist Johann Sebastian Bach und seine Frau Maria Barbara über die Geburt ihres dritten Kindes freuen. Zwei Tage später wurde der Knabe auf den Namen Carl Philipp Emanuel getauft – an einem Taufstein, den man noch heute in der Weimarer Stadtkirche bewundern kann. Während der Vorname Carl der Wunschname der Eltern war, stand für den Namen Emmanuel der Weißenfelser Hofmusiker Immanuel Weldig Pate. Für den mittleren Vornamen Philipp hatte der Täufling einen besonders prominenten Paten: Georg Philipp Telemann. Der Komponist aus Magdeburg war mit Vater Bach gut befreundet und wirkte damals in Bachs Vaterstadt Eisenach als Kapellmeister, konnte zur Taufe also nach Weimar reisen. Keiner der Beteiligten ahnte damals, dass der Pate sieben Jahre später Musikdirektor der Hansestadt Hamburg werden sollte und ihm sein Patenkind ganze 54 Jahre später auf diesem Posten nachfolgen sollte.

Seine gründliche musikalische Ausbildung erhielt der kleine Carl natürlich vom Vater, wie der vier Jahre ältere Bruder Friedemann vor ihm. So wie der Jüngere in die Kleider des Älteren hineinwuchs, so übernahm er auch die Übungsstücke Friedemanns. Freilich hat Carl Philipp später den älteren Bruder auf Cembalo, Clavichord und Hammerflügel bei weitem überflügelt, während Friedemann alle seine Brüder an der Orgel in den Schatten stellte.

Nach der Schulzeit an der Leipziger Thomasschule ging Carl Philipp nach Brandenburg, um in Frankfurt an der Oder zu studieren. Die Wahl des Studienplatzes erwies sich als prophetisch, denn kein Geringerer als der preußische Kronprinz Friedrich berief ihn 1739 zu seinem ersten Kammercembalisten. Nach der Thronbesteigung des jungen Monarchen hatte Carl Philipp die Ehre, das erste Flötensolo zu begleiten, das Friedrich als gekröntes Haupt spielte. Freilich war dies nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Der König mochte seinen ersten Cembalisten nicht sonderlich, und schon gar nicht dessen überempfindsame, harmonisch komplizierte Musik. Friedrich bevorzugte die galanten Kompositionen seines Flötenlehrers Johann Joachim Quantz und seines Hofkapellmeisters Carl Heinrich Graun. In Potsdam, wo nach Aussagen der Zeitgenossen die Namen Quantz und Graun mit größerer Ehrfurcht genannt wurden als Luther und das Evangelium, hatte der hochbegabte Sohn Johann Sebastian Bachs wenig Einfluss auf den Hof.

Umso freier konnte sich sein Genius im bürgerlichen Berlin entfalten. Bekanntlich mied der König die Berliner und erwies ihnen nur die Ehre, um unter den Linden die Hofoper zu besuchen. Carl Philipp Emanuel dagegen war mit vollem Herzen ein „Berliner Bach“, kein „preußischer“ oder „Potsdamer Bach“. In der schon damals größten Stadt Deutschlands wurde er zum Mittelpunkt eines lebhaften, literarisch-musikalischen Zirkels. Aus diesem Umstand erklären sich viele seiner bedeutendsten Berliner Werke, darunter auch die drei Cellokonzerte in A-Dur, a-Moll und B-Dur.

Sie sind für einen oder mehrere der bedeutenden Berliner Cellisten jener Epoche entstanden. Dazu gehörten einerseits die Böhmen Ignaz Mara und Joseph Zycka, einerseits die Deutschen Johann Georg Speer und Johann Friedrich Schale. Sie alle konzertierten in den Berliner Konzertreihen jener Tage, die noch nicht in Philharmonie und Konzerthaus, sondern in den Privathäusern der Musiker stattfanden – unter blumigen Namen wie Musikübende Gesellschaft oder Musikalische Assemblée.

In einer dieser Reihen sind die drei Cellokonzerte während der 1750er Jahre zum ersten Mal erklungen. Alle drei Werke liegen auch in alternativen Fassungen für Flöte und Cembalo vor, deren Quellen zum Teil älter sind als die uns erhaltenen Abschriften der Celloversionen. Deshalb hielt man die drei Werke lange Zeit gar nicht für originale Cellokonzerte. Erst die gründlichen Vorbereitungen für die neue Gesamtausgabe in den USA (Carl Philipp Emanuel Bach, The Complete Works, hrsg. vom Packard Humanities Institute) erbrachten den zweifelsfreien Nachweis, dass es sich um Cellokonzerte handelt, die vom Komponisten erst später für Flöte und Cembalo arrangiert wurden.

Das A-Dur-Konzert ist das späteste der drei Werke, komponiert 1753 in Potsdam, nicht in Berlin. Dies könnte auf einen Auftrag des Königs hinweisen, was zum strahlenden Glanz des Konzerts und zum galanten Stil seiner Ecksätze passen würde. Ganz in Friedrichs Sinne kommt das erste Allegro im Duktus einer Opernarie daher: mit rauschenden Tremoli und langen Violinläufen. Sein schönes Thema wirkt wie die Verkörperung eines Sanguinikers: fröhlich und voller Tatendrang. Der Solist bekommt sein eigenes Thema, eine Kaskade fallender Dreiklänge, woraus ein lebhafter Dialog entsteht. Immer wieder fallen die Streicher dem Solisten gleichsam „ins Wort“, immer wieder pariert er Streichereinwürfe mit virtuosen Läufen. Seine Solopassagen werden von den Geigen mit Motiven aus dem Streichervorspiel untermalt. So entsteht der Eindruck, die Motive des Vorspiels würden im ganzen Satz ständig durchgearbeitet und umgeformt – eine Technik, die Carl Philipp von seinem Vater übernahm, die sich in seinen schnellen Konzertsätzen aber stets zu einer Art Durchführung in der Mitte verdichtet, ein Vorbote der klassischen Sonatenform.

Der langsame Mittelsatz in a-Moll steht zur Pracht des Kopfsatzes im diametralen Gegensatz. Das Thema dieses tief traurigen Largo e Mesto wird von den Geigen auf der gedämpften G-Saite angestimmt. Sie spielen eine Kette von Seufzermotiven, die sich in Halbtönen schmerzlich nach oben windet, stets vom Forte ins Piano zurückfallend. Unwillkürlich erinnerte sich Carl Philipp hier an ein Cembalostück aus dem Unterricht seines Vaters, an die dreistimmige Invention (Sinfonia) in f-Moll. Deren chromatisches Thema wird hier vom Vierer- in den langsam schwingenden Dreiertakt versetzt, gefolgt von einem Kaleidoskop schmerzlicher Motive. Während die Geigen das Thema in tiefer Lage spielen, setzt das Cello in hoher Lage ein. Daraus entsteht ein reizvoller Klangkontrast – Auftakt zu einer schmerzlich bewegten, klanglich delikaten Wechselrede über die Motive des Themas, das Idealbild eines Melancholikers, der in seinem Schmerz vor sich hin zu brüten scheint.

Im Finale antwortet der Choleriker mit stürmischen Triolen, nervösen Sekundreibungen und kapriziösen Synkopen – ein echtes Allegro assai. Dem Streichervorspiel stellt der Solist wieder sein eigenes Thema gegenüber. Es ist in normalen Sechzehnteln und Achteln gehalten, was die Streicher zum wütenden Protest in Triolen veranlasst. Erst in seinen langen Solopassagen greift der Solist die Triolen auf und beweist seine Bravour auch in diesem brillanten Finale.