Violinsonate Nr. 2, Poème mystique | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Ernest Bloch

Violinsonate Nr. 2, Poème mystique

Violinsonate Nr. 2, Poème mystique

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Erläuterung

Ernest Bloch gilt als der „Vater der jüdischen Musik“, wobei man ergänzen muss: der jüdischen Konzertmusik. Aus den unerschöpflichen Quellen der liturgischen und volkstümlichen jüdischen Musik nahm er die unterschiedlichsten Anregungen auf und goss sie in die klassischen Formen und Besetzungen einer typischen „Konzertsaalmusik“.

Der Sohn eines jüdischen Kaufmanns aus Genf durchlief in seinem fast sechzigjährigen Schaffen die verschiedensten Stilphasen: von romantischen Ursprüngen über Expressionismus und Neoklassizismus bis hin zu seinem vielfältigen Altersstil. Seine bekanntesten Werke, America für Chor und Orchester (1926) und das Orchesterstück Helvetia (1929), stehen für die beiden Pole seines Lebensweges. Bis 1916 wirkte er in seiner Schweizer Heimat, dann ging er als Dirigent einer Ballettkompanie auf Tournee durch die Vereinigten Staaten. Als sich die Ballett-Truppe während der Tournee auflöste, nahm er das Angebot an, an der neu gegründeten Mann’s School of Music in Manhattan zu unterrichten. Bald war er in New York so fest etabliert, dass er seine Familie nachholen konnte – 1917 über den Atlantik, mitten durch den U-Boot-Terror des Ersten Weltkriegs. Von New York wechselte Bloch 1920 nach Cleveland und 1925 nach San Francisco, jeweils als Direktor neu gegründeter Musikinstitute. Am Aufschwung des amerikanischen Musiklebens war er wesentlich mit beteiligt. 1924 nahm er die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Während der Dreißiger Jahre lebte er wieder in der Schweiz, bevor ihn der Antisemitismus in Europa endgültig nach Amerika auswandern ließ. Dort wurde er Professor in Berkeley und eine Art Nestor der Moderne in Amerika.

Im europäischen Musikleben nimmt Bloch heute längst nicht den Platz ein, der ihm gebührt. Der französische Musikwissenschaftler Harry Halbreich beklagte, dass in Europa nur zwei Stücke von ihm regelmäßig zu hören seien: das Violinstück Nigun aus der Baal Shem Suite, die auch Hagai Shaham spielt, und das Cellostück Schelomo. „Dies ist alles, was wir gegenwärtig von einem der originellsten und kraftvollsten Schöpfer der frühen Moderne zu hören bekommen. Dabei könnte man ihn mit Fug und Recht einen ‚Berlioz der Kammermusik’ nennen … Ausgehend von der flammenden Post-Romantik seiner frühen Werke entwickelte er sich zum Sänger der Freuden und der Leiden seines Volkes – des jüdischen Volkes –, und gerade diese ethnischen Werke (inspiriert ebenso vom Geist der Schrift wie der Propheten) haben seinen Ruhm begründet.“

Die zweite Violinsonate von 1924 nimmt in Blochs Stilentwicklung einen Sonderplatz ein. Anders als die Baal Shem-Suite mit ihren kurzen Genrestücken und dem so überaus populären Nigun beschränkt sich die Sonate auf einen einzigen, durchkomponierten Satz von 20 Minuten Länge. Ihr Titel Poème mystique, „Mystisches Gedicht“, scheint sich in der meditativen Haltung der Musik widerzuspiegeln: „Es handelt sich um eine heitere und ekstatische Meditation, die kurioserweise Synagogengesänge und andere jüdische Melodien mit Gregorianischem Choral vermischt (Gloria und Credo aus der Missa Kyrie fons bontatits). Die liturgischen Gesänge der beiden Religionen alternieren mit kurzen Ausbrüchen von Leidenschaft. Leider wird aber die tief bewegende Wirkung getrübt durch einige harmonische Gefälligkeiten und durch den übertriebenen Gebrauch der Oktaven auf der Geige sowie des Tremolo im Klavier.“ (Harry Halbreich)