Streichquartett Nr. 5 (1938) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Bohuslav Martinů

Streichquartett Nr. 5 (1938)

Streichquartett Nr. 5 (1938)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Allegro ma non troppo
Adagio
Scherzo. Allegro vivo
Lento – Allegro

Erläuterung

Von Paris aus musste Mar¬tinů mit Entsetzen vom Anschluss Österreichs an das „Großdeutsche Reich“ erfahren. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Nazis auch über seine Heimat Tschechien herfallen würden. In dieser bedrückenden Stimmung komponierte er 1938 in Paris sein fünftes und größtes Streichquartett. Der französische Martinů-Biograph Harry Halbreich nannte es „das größte tschechische Streichquartett des 20. Jahrhunderts“ und widmete dem Werk eine ausführliche Besprechung:

„Unter gewissen Umständen können sich auch die größten Schöpfer der Musik selbst übertreffen. Bei Martinů ereignete sich dies gleich zweimal während des qualvollen Jahres 1938. Eine schwere persönliche Krise traf mit der dramatischen politischen Situation zusammen. Das Fünfte Streichquartett und gleich darauf das mächtige, später berühmte Concerto für zwei Streichorchester, Klavier und Pauken spiegeln dies auf erschütternde Weise wider. Die beiden Werke sind sich an Wert gleich, obwohl das Streichquartett das stärker verinnerlichte, subjektivere Werk ist, während das Concerto dem inneren Konflikt einen universelleren Ausdruck verleiht. Das Quartett erstaunt durch seine unerhörte Spannung, die Kühnheit und Herbheit seiner Sprache, die außerordentliche Dichte seiner Gedanken – umso mehr, als es in seinen Dimensionen fast alle anderen Instrumentalwerke des Komponisten übertrifft.

Dieses schwierige, kompromisslose Werk unter Hochspannung ist zweifellos das Meisterwerk seines Autors und das größte tschechische Streichquartett des 20. Jahrhunderts neben Janáčeks Quartett Intime Briefe. Das Festhalten an einer einzigen Tonart, dem von Mozart so geliebten g-Moll, ist außergewöhnlich, um nicht zu sagen einmalig bei einem Komponisten wie Martinů, der stets auf Erweiterung der Tonalität bedacht war. Wie das a-Moll in Gustav Mahlers Sechster Sinfonie ist die Einheit der Tonart hier zwar Garant von Sicherheit und einer scheinbaren Ausgewogenheit, in Wahrheit aber ein geistiges Gefängnis. Erst am Ende des zweiten Satzes trifft man schmerzvoll auf die Subdominante c-Moll, die auch den Anfang des Scherzos bestimmt, das aber in der Grundtonart schließt.

Der erste Satz, Allegro ma non troppo, umklammert den Zuhörer von Beginn an durch seine rüden, mit Dissonanzen angereicherten Akkorde und durch die unerbittlichen Rhythmen, die das Klima des Satzes bestimmen. Das lyrische Element fehlt fast völlig und trägt dort, wo es endlich erscheint, nur zur Erhöhung der Spannung bei. Der Satz schließt mit einem grandiosen Ritardando.

Das Adagio wirkt besonders bedrückend durch das ständige Pizzicato der Bratsche, dessen obsessiver Puls an die anderen Instrumente weitergereicht wird. Der Mittelteil gipfelt in einem schrecklichen Verzweiflungsschrei, und die letzten Takte wirken – stets auf der Grundlage des rhythmischen Pulses – wie verschattet, um sich ganz am Schluss von C-Dur nach c-Moll zu wenden.

Das Scherzo (Allegro vivo im 9/8-Takt) bewahrt die Atmosphäre des Ganzen: Es wirkt heftig, hämisch, wie ein Spiel böser Kräfte, brutal und mitleidlos.

Das Werk gipfelt im Finale, das mit einer großen langsamen Einleitung beginnt. Dieses Lento von 37 Takten erinnert im stechenden Schmerz seiner Klage mitunter an den jüdischen Komponisten Ernest Bloch. Danach rafft sich der Wille des Quartetts zu einem männlichen Unisono zusammen: zum synkopischen Thema des Allegro. Das Quartett schließt mit einem grandiosen Ritardando, gewaltiger noch als das im ersten Satz. Die mächtigen dissonanten Akkorde des Schlusses offenbaren einen unbeugsamen Willen: Gegen alle Hoffnungslosigkeit bestätigen sie die Würde und die Größe des Menschen. Das abschließende g-Moll spricht weder von Niedergeschlagenheit und Resignation noch von einer sterilen Auflehnung, sondern von einer nüchternen, klarsichtigen Annahme des Schicksals, ganz im Sinne eines Komponisten, der die Beharrlichkeit zu seiner künstlerischen Devise erklärt hatte.“ (Harry Halbreich)