"Slawischer Tanz", op. 72,4 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Antonin Dvorák

"Slawischer Tanz", op. 72,4

“Slawischer Tanz”, op. 72,4

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 595

Satzbezeichnungen

Allegretto

Erläuterungen

2002
ANTONIN DVORAK
Slawische Tänze

Es waren ausgerechnet zwei Deutsche, die dem Tschechen Antonin Dvorak zum Durchbruch verhalfen: Johannes Brahms und sein Verleger Fritz Simrock. Seit Mitte der 1870er Jahre gehörte Brahms zu den Bewunderern seines acht Jahre jüngeren tschechischen Kollegen. Wie es der Art des Hamburgers entsprach, ließ er den Worten Taten folgen. Zunächst bemühte er sich beim Wiener Schulministerium erfolgreich um ein Stipendium für Dvorak. Dann sandte er 1877 eine Empfehlung an seinen Verleger in Berlin: “Dvorak hat alles Mögliche geschrieben, Opern (böhmische), Sinfonien, Quartette, Klaviersachen. Jedenfalls ist er ein sehr talentvoller Mensch. Nebenbei arm! Und bitte ich, das zu bedenken!”

Simrock überlas den letzten Satz geflissentlich und bezahlte Dvorak weder für die Klänge aus Mähren, die er zuerst ins Verlagsprogramm aufnahm, noch für die von ihm bestellten Slawischen Tänze für Klavier zu vier Händen ein Honorar. Erst für die Orchesterfassung der letzteren, die wesentlich zum Erfolg des Opus 46 beitrug, erhielt Dvorak von Simrock 300 Mark, sein erstes Komponistenhonorar überhaupt, das er seinen Prager Freunden stolz vorzeigte.
Es spricht für den Geschäftssinn Simrocks, dass er in dem Böhmen Dvorak den rechten Mann für ein Genre erkannte, das in Europa damals die musikalischen Gemüter allenthalben bewegte: nationale Tänze aus Osteuropa. Im Verlagsprogramm von Simrock hatte zuerst Brahms mit seinen Ungarischen Tänzen diesem Faible für die Urwüchsigkeit der östlichen Völker Europas Vorschub geleistet. Dvorak konnte diesen Erfolg nun mit seinen Slawischen Tänzen umso authentischer wiederholen, als er ja hier gewissermaßen in seiner “Muttersprache” komponierte. Deshalb hatte er es auch nicht nötig, wie Brahms auf scheinbar originale Volkstänze aus mehr oder weniger verlässlichen Quellen zurückzugreifen, sondern schrieb sich die Melodien zu seinen “Slawischen” kurzerhand selbst. Keiner hätte es besser vermocht als er.

Während Dvorak in der ersten Serie, dem Opus 46 von 1878, ausschließlich Tanzformen aus seiner böhmischen Heimat verwendete, erweiterte er die zweite Serie Opus 72 zu veritablen “Slawischen Tänzen”. Die Tanzformen stammen aus der Slowakei, Polen, der Ukraine, Serbien und Tschechien, umschreiben also ein panslawisches Panorama. “Die slawischen Tänze amüsieren mich sehr und ich glaube – diese werden ganz anders” schrieb er im Juni 1886 während der Arbeit an der zweiten Serie an Simrock. Noch ein halbes Jahr zuvor hatte er die Bitte seines Verlegers um eine zweite Tanzserie rundweg abgelehnt. Er sei “durchaus nicht in der Stimmung, um an solche lustige Musik zu denken”, und überhaupt sei “zweimal etwas Gleiches zu machen verdammt schwer”.

Heutzutage erfreuen sich beide Serien größter Beliebtheit. Unsere Beispiele, die Nr. 1 des Opus 46 und die Nr. 4 des Opus 72, zeigen den charakteristischen Unterschied: In der ersten Serie strotzt Dvoraks Musik vor Vitalität, während sich in der zweiten melancholische Untertöne einmischen, wie gerade die Nr. 4 beweist. Dieses Allegretto grazioso “schwimmt in Nostalgie und wird meistens als Dumka bezeichnet” (Hutchinson), hat aber im Gegensatz zum normalen Aufbau dieses ukrainischen Tanzes keinen schnellen Teil.