Streichquintett e-Moll, op. 8 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Niels Wilhem Gade

Streichquintett e-Moll, op. 8

Quintett e-Moll für zwei Violinen, zwei Violen und Violoncello, op. 8

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 672

Satzbezeichnungen

1. Andante con moto – Allegro espressivo

2. Allegretto

3. Presto

4. Adagio – Allegretto molto ed appassionato

Erläuterungen

“In einem französischen Blatte war vor Kurzem zu lesen: ‘Ein junger dänischer Componist macht jetzt in Deutschland Aufsehen, er heißt Gade, wandert, seine Violine auf dem Rücken, öfters von Copenhagen nach Leipzig und zurück, und sieht dabei aus wie der leibhaftige Mozart.’ Der erste und letzte Satz sind vollkommen richtig; nur in den Mittelsatz hat sich etwas Romantik eingeschlichen. Der junge Däne kam wirklich vor einigen Monaten in Leipzig an (obwohl er wie seine Violine fahrend) und sein Mozartkopf mit dem starken wie in Stein gehauenen Haupthaar paßte gut zu den Sympathien, die seine Ouverture zu Ossian und seine 1ste Symphonie unter den hiesigen Musikern schon vorher erregt hatten…”

Mit diesen Worten beginnt Robert Schumanns Beschreibung des dänischen Komponisten Niels W. Gade, der 1843 mit einem königlichen Stipendium nach Leipzig kam und Aufnahme in den Mendelssohn-Schumann-Kreis fand. Wie auch später im Falle von Brahms hat der Kritiker Schumann Charakter und Bedeutung des jungen Musikers präzise beschrieben und seine zukünftige Entwicklung zu einem der bedeutendsten romantischen Sinfoniker vorausgeahnt:

“Aus seinem äußeren Leben ist nur wenig zu berichten. Zu Copenhagen im J. 1817 geboren, Sohn eines dortigen Instrumentenmachers, mag er seine ersten Jahre mehr unter Instrumenten, als unter Menschen hingeträumt haben. Seinen ersten Unterricht in der Musik erhielt er von einem jener gewöhnlichen Lehrer, die überall nur auf den mechanischen Fleiß, nicht auf das Talent sehen, und es soll der Mentor mit den Fortschritten seines Zöglings nicht sonderlich zufrieden gewesen sein. Guitarre, Violine und Clavier lernte er von jedem etwas, ohne sich außerordentlich hervorzuthun … Später kam er in die königliche Kapelle zu Copenhagen als Violinist, und hier hatte er Gelegenheit, den Instrumenten alle die Geheimnisse abzulauschen, von denen er sie uns manchmal in seinen Instrumentalstücken erzählen läßt. Diese practische Schule, manchen versagt, von Vielen unverstanden benutzt, erzog ihn wohl hauptsächlich zu jener Meisterschaft in der Instrumentation, die ihm unbestritten zugestanden werden muß … So erhielt er denn, wie viele andere Talente unter seinen Landsleuten, ein wahrhaft königliches Stipendium zu einer Reise in’s Ausland, und er machte sich für’s erste nach Leipzig auf, das ihn zuerst in das größere musikalische Publicum eingeführt hatte.”

Schumanns Charakterisierung der “künstlerischen Eigenthümlichkeit des trefflichen Mannes” ist insofern bedeutsam, als sie die Entwicklung der skandinavischen Nationalmusiken in prophetischer Weise vorwegnimmt. Gade wurde nach seiner Rückkehr in die Heimat als Leiter des Kopenhagener Musikvereins und Direktor der Dänischen Musikakademie zum entscheidenden Vorreiter dieser Bewegung: “So zeigt sich in seiner Musik … zum erstenmal ein entschieden ausgeprägter nordischer Charakter; aber gewiß wird Gade selbst am wenigsten verläugnen, wie viel er den deutschen Meistern zu verdanken hat. “

“Nordischer Charakter” und die “Weihe der Meisterschaft” durch das Studium deutscher Musik sind exemplarisch in jenen Werken ausgeprägt, die Gade während seiner ersten Leipziger Jahre geschrieben hat. Dazu zählt auch das Streichquintett e-Moll, komponiert zwischen März und November 1845, uraufgeführt im Dezember jenes Jahres vom Gewandhausquartett mit dem Komponisten an der ersten Viola, gedruckt in Stimmen 1846 als Gades Opus 8.

Das viersätzige Werk folgt in Form und Stil unverkennbar dem Vorbild Mendelssohns, insbesondere dessen Streichquartetten op. 44. Ebenso unleugbar ist jedoch der nordische Ton. Gleich die Introduzione nimmt in ihren unregelmäßigen Perioden, der äolischen Tonart und den akzentuierten Synkopen jenes Archaische vorweg, das man von Grieg her kennt. Das Allegro espressivo (im Alla Breve-Takt) beginnt mit einem melancholisch-singenden Thema, das Mendelssohn alle Ehre gemacht hätte. Ebenso meisterhaft ist die formale Entwicklung von einer rhythmisch-harmonischen Spannungsentladung über das weiche, von der erste Bratsche intonierte Seitenthema und die Durchführung mit Augmentation bis hin zur strahlenden Dur-Reprise des Seitenthemas. Das Hauptthema wird erst in der Coda nachgereicht: über einem Bordun, als wehmütige nordische Weise.

Das übliche Adagio hat Gade durch ein volkstümliches Allegretto im 6/8-Takt ersetzt, eine Art dänischer Pastorale. Besonders originell ist das Scherzo mit seinen widerborstigen Synkopen und dem Klangspiel aus Pizzicato und leeren Saiten. Nach bester Leipziger Manier wird zweimal ein ruhiges Trio eingeschoben und in der Coda mit dem Scherzo verwoben. Ebenso “leipzigerisch” ist die Anlage des Finales als Sonatenrondo mit einem virtuosen Hauptthema für den Gewandhaus-Konzertmeister Ferdinand David und einem idyllischen Seitengedanken. Beide werden in der Coda ins Hymnische überhöht. Dennoch bleibt stets, etwa im Rhythmus des Rondothemas oder in der Adagio-Einleitung des Satzes, die Atmosphäre von “Runen und Nordscheinlichtern” gegenwärtig, die Schumann aus Gades Musik heraushörte. Obwohl Gades Quintett zu den Meisterwerken romantischer Kammermusik zählt, wurde übrigens erst 1995 eine kritische Ausgabe der Partitur herausgegeben!

2004
NIELS GADE
Streichquintett e-Moll, op. 8

“In einem französischen Blatte war vor Kurzem zu lesen: ‘Ein junger dänischer Componist macht jetzt in Deutschland Aufsehen, er heißt Gade, wandert, seine Violine auf dem Rücken, öfters von Copenhagen nach Leipzig und zurück, und sieht dabei aus wie der leibhaftige Mozart.’ Der erste und letzte Satz sind vollkommen richtig; nur in den Mittelsatz hat sich etwas Romantik eingeschlichen. Der junge Däne kam wirklich vor einigen Monaten in Leipzig an (obwohl er wie seine Violine fahrend) und sein Mozartkopf mit dem starken wie in Stein gehauenen Haupthaar paßte gut zu den Sympathien, die seine Ouverture zu Ossian und seine 1ste Symphonie unter den hiesigen Musikern schon vorher erregt hatten.”

Mit diesen Worten beginnt Robert Schumanns Beschreibung des dänischen Komponisten Niels W. Gade, der 1843 mit einem königlichen Stipendium nach Leipzig kam und Aufnahme in den Mendelssohn-Schumann-Kreis fand. Wie auch später im Falle von Brahms hat der Kritiker Schumann Charakter und Bedeutung des jungen Musikers präzise beschrieben und seine zukünftige Entwicklung zu einem der bedeutendsten romantischen Sinfoniker vorausgeahnt:

“Aus seinem äußeren Leben ist nur wenig zu berichten. Zu Copenhagen im J. 1817 geboren, Sohn eines dortigen Instrumentenmachers, mag er seine ersten Jahre mehr unter Instrumenten, als unter Menschen hingeträumt haben. Seinen ersten Unterricht in der Musik erhielt er von einem jener gewöhnlichen Lehrer, die überall nur auf den mechanischen Fleiß, nicht auf das Talent sehen, und es soll der Mentor mit den Fortschritten seines Zöglings nicht sonderlich zufrieden gewesen sein. Guitarre, Violine und Clavier lernte er von jedem etwas, ohne sich außerordentlich hervorzuthun … Später kam er in die königliche Kapelle zu Copenhagen als Violinist, und hier hatte er Gelegenheit, den Instrumenten alle die Geheimnisse abzulauschen, von denen er sie uns manchmal in seinen Instrumentalstücken erzählen läßt. Diese practische Schule, manchen versagt, von Vielen unverstanden benutzt, erzog ihn wohl hauptsächlich zu jener Meisterschaft in der Instrumentation, die ihm unbestritten zugestanden werden muß.”

Schumanns Charakterisierung der “künstlerischen Eigenthümlichkeit des trefflichen Mannes” ist insofern bedeutsam, als sie die Entwicklung der skandinavischen Nationalmusiken in prophetischer Weise vorwegnimmt. Gade wurde nach seiner Rückkehr in die Heimat als Leiter des Kopenhagener Musikvereins und Direktor der Dänischen Musikakademie zum entscheidenden Vorreiter dieser Bewegung: “So zeigt sich in seiner Musik … zum erstenmal ein entschieden ausgeprägter nordischer Charakter; aber gewiß wird Gade selbst am wenigsten verläugnen, wie viel er den deutschen Meistern zu verdanken hat.”

“Nordischer Charakter” und die “Weihe der Meisterschaft” durch das Studium deutscher Musik sind exemplarisch in jenen Werken ausgeprägt, die Gade während seiner ersten Leipziger Jahre geschrieben hat. Dazu zählt auch das Streichquintett e-Moll, komponiert zwischen März und November 1845, uraufgeführt im Dezember jenes Jahres vom Gewandhausquartett mit dem Komponisten an der ersten Viola, gedruckt in Stimmen 1846 als Gades Opus 8.

Das viersätzige Werk folgt in Form und Stil unverkennbar dem Vorbild Mendelssohns, insbesondere dessen Streichquartetten op. 44. Ebenso unleugbar ist jedoch der nordische Ton. Gleich die Introduzione nimmt in ihren unregelmäßigen Perioden, der äolischen Tonart und den akzentuierten Synkopen jenes Archaische vorweg, das man von Grieg her kennt. Das Allegro espressivo (im Alla Breve-Takt) beginnt mit einem melancholisch-singenden Thema, das Mendelssohn alle Ehre gemacht hätte. Ebenso meisterhaft ist die formale Entwicklung von einer rhythmisch-harmonischen Spannungsentladung über das weiche, von der erste Bratsche intonierte Seitenthema und die Durchführung mit Augmentation bis hin zur strahlenden Dur-Reprise des Seitenthemas. Das Hauptthema wird erst in der Coda nachgereicht: über einem Bordun, als wehmütige nordische Weise.

Das Adagio hat Gade durch ein volkstümliches Allegretto im 6/8-Takt ersetzt, eine Art dänischer Pastorale. Besonders originell ist das Scherzo mit seinen widerborstigen Synkopen und dem Klangspiel aus Pizzicato und leeren Saiten. Nach bester Leipziger Manier wird zweimal ein ruhiges Trio eingeschoben und in der Coda mit dem Scherzo verwoben.

Ebenso “leipzigerisch” ist die Anlage des Finales als Sonatenrondo mit einem virtuosen Hauptthema für den Gewandhaus-Konzertmeister Ferdinand David und einem idyllischen Seitengedanken. Beide werden in der Coda ins Hymnische überhöht. Dennoch bleibt stets, etwa im Rhythmus des Rondothemas oder in der Adagio-Einleitung des Satzes, die Atmosphäre von “Runen und Nordscheinlichtern” gegenwärtig, die Schumann aus Gades Musik heraushörte.