Klarinettenquartett | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Berthold Goldschmidt

Klarinettenquartett

Quartett für Klarinette, Violine, Viola und Violoncello

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 720

Satzbezeichnungen

1. Andante – Allegro – Misterioso (Rifflessione del tempo passato) – Tempo I – Allegro

2. Lento

3. Rondo. Allegro con fuoco

Erläuterungen

Wohl kaum ein Hörer würde das Klarinettenquartett von Berthold Goldschmidt intuitiv der Neuen Musik zuordnen. Es ist – für ein Werk aus dem Jahre 1983 – deutlich aus der Zeit gerückt, traditionell in einem Sinne, wie man es sich in den 60er und 70er Jahren als Komponist nicht hätte leisten können. Die neue Offenheit, die die zeitgenössische Musik nach 1980 erlangte, machte auch den Weg frei für Komponisten, die in ihrem Denken der Vorkriegszeit verhaftet blieben wie eben Berthold Goldschmidt. Der Hamburger Kaufmannssohn und Schreker-Schüler, der vor dem Nazi-Terror 1935 in die Emigration floh, war schon einmal vor 1933 zu den vielversprechenden Komponisten gezählt worden. Nun gehört er wieder dazu: als Zeitzeuge deutschen Säuberungswahns, aber auch der atonalen Diktatur der Nachkriegszeit. Da Goldschmidt am 31. Januar persönlich in der Villa Musica über sein Leben und Werk berichten wird, sei hier nur kurz ein Kommentar des Geigers und Pianisten Kolja Lessing zitiert: „Seine kompositorische Ausbildung erhielt er im Berlin der frühen 1920er Jahre bei Franz Schreker, dessen Unterricht durch stilistische Liberalität einerseits, andererseits durch Strenge in handwerklichen Belangen geprägt war. Gleichzeitig widmete sich Goldschmidt auch einem Dirigierstudium und so konnte er 1925 als Assistent Erich Kleibers die Uraufführung von Alban Bergs ‚Wozzeck‘ vorbereiten. Kurz vor Ausbruch der Nazidiktatur, die Goldschmidt 1935 zur Emigration nach London zwang (wo er heute noch wohnt), entstanden so bedeutende Werke wie seine erste Oper ‚Der gewaltige Hahnrei‘, die 1932 in Mannheim zur erfolgreichen Uraufführung kam (und 1992, nach 60 Jahren, in Berlin zu neuem Leben erweckt wurde) … Die Emigration nach England bedeutete für Goldschmidt zunächst ein jähes Ende seiner so verheißungsvollen Komponistenlaufbahn … Erst im Herbst 1982 meldet sich Goldschmidt wieder zu Wort. Mit seinem Klarinettenquartett eröffnet er eine Reihe großartiger, höchst intensiv erlebter Kammermusikwerke, die in ihrer (unbewußten) Rückbesinnung auf z.T. verlorengegangene frühere Werke wie in ihrer zeitlosen Individualität jenseits aller ‚Moden‘ die Frage nach dem ‚Gestern‘ oder ‚Heute‘ völlig in den Hintergrund rücken.“ Die besondere biographische Rolle und sein musikalischer Stil erheben das Klarinettenquartett in den Rang eines Bekenntniswerkes. Es steckt voller Züge der Rückschau: die Misterioso-Episode des ersten Satzes trägt den Titel „Reflektion über die vergangene Zeit“; das Lento verwendet das Thema der 1926 uraufgeführten Passacaglia und das Rondo ein Thema aus der Kafka-Hörspielmusik von 1969, dem einzigen Werk aus der Zeit des Verstummens.