Streichquartett g-Moll, op. 27 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Edvard Grieg

Streichquartett g-Moll, op. 27

Quartett g-Moll für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 27

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 736

Satzbezeichnungen

1. Un poco Andante – Allegro molto ed agitato

2. Romanze. Andantino – Allegro agitato

3. Intrmezzo. Allegro molto marcato- Più vivo e scherzando

4. Finale. Lento – Presto al Saltarello

Erläuterungen

EDVARD GRIEG steht, abgesehen von seinem a-Moll-Klavierkonzert, im Abseits der üblichen Formenlehren europäischer Instrumentalmusik. Dabei zählt sein 1877/78 komponiertes g-Moll-Streichquartett ohne Zweifel zu den bedeutendsten Werken der Gattung. Wie aus einer Brief äußerung Griegs hervorgeht – das Quartett sei nicht als Trivialität für schlichte Gemüter gedacht, sondern ziele auf Weite, Flug der Fantasie und vor allem die Klangfarben der Instrumente – , standen für ihn Dramatik des Verlaufs und Klanggestaltung im Vordergrund. Dadurch steht das Werk in einer Traditon des orchestralen, klangbezogenen Quartettkomponierens, die von Schuberts späten Quartetten über Debussy bis zu Bartók reicht. Man kann Griegs 1878 in Köln uraufgeführtes Werk ohne Übertreibung als missing link in dieser Entwicklung ansehen.
Außer seiner hinreißend vielfältigen Klangwelt ist das Quartett auch ein Beitrag zu der um 1870 heftig geführten Diskussion um zyklische Vereinheitlichung. Allen vier Sätzen des Werkes liegt ein Mottothema zugrunde, das in der langsamen Einleitung des ersten Satzes vorgestellt wird und nach diversen Modifikationen im Finale als Katharsis wiederauftritt.
Diese Gesamtanlage und der dramaturgische Einsatz des Mottothemas erinnern stark an die zehn Jahre später entstandene 5. Symphonie von Tschaikowsky. Dieser hatte gerade in der Entstehungszeit der Symphonie mit Grieg engere Freundschaft geschlossen, so daß dessen Quartett möglicherweise die Inspirationsquelle für die vollendete Lösung des zyklischen Problems in seiner Fünften war.
Tschaikowsky sehr ähnlich ist auch die Dramaturgie der Einzelsätze bei Grieg, da in ihnen wild dramatische Entladungen mit Feldern lyrischen Verweilens blockhaft abwechseln. Zu Beginn des ersten Satzes erklingt wie erwähnt das Mottothema, eine äolische Melodie, die Grieg seinem 1876 komponierten Lied Die Fiedler entnahm. Das folgende Allegro molto hebt agitato, in hektischer Bewegung mit einem Sechzehntelthema an, das 1. Violine und Bratsche im Oktavkanon vorstellen. Die sukzessive rhythmische Verkürzung dieses Themas im Forte führt bis zu perkussivem Hämmern, das Bartók vorwegzunehmen scheint. Danach wird in schärfstem Kontrast die impressionistiche Klangaura des Seitenthemas aufgebaut. Es ist das nach Dur gewendete Mottothema, das auch in der Schlußgruppe als synkopischer Tanz wiederkehrt. Im weiteren Verlauf wird noch dreimal – in Durchführung, Reprise und Coda – der Kontrast zwischen erstem und zweiten Thema dramatisch ausgespielt, wobei letzteres zu immer ätherischeren Klängen findet.
Die Romanze des zweiten Satzes beginnt, losgelöst vom Motto, als Berceuse des Cellos, deren leicht sentimentaler Tonfall die Salonmusik streift. Das Motto kehrt im kontrastierenden Mittelteil als grotesker Tanz wieder. Im Intermezzo wird ihm ein trotziger synkopischer Rhythmus unterlegt, den man schon im Scherzo von Schuberts d-Moll-Quartett Der Tod und das Mädchen finden kann; das Trio greift dagegen auf einen norwegischen Volkstanz zurück, der fugiert vom Cello an die Oberstimmen weitergereicht wird, wobei die jeweils zurückbleibende Stimme mit Pizzicato die Begleitung auffüllt.
In der langsamen Einleitung des Finales erhält das Mottothema einen von derjenigen des ersten Satzes deutlich abgehobenen Charakter als melancholisches Fugato im Stil der späten Beethoven-Quartette. Das Perpetuum mobile des anschließenden Saltarellos bereitet den Boden für eine “kraftvolle Coda mit dauernden Rhythmuswechseln und schieren Klangkaskaden. Hier scheint es, als ob das ganze Quartett mit thematischen Elementen aus dem ersten und dritten Satz zusammengefaßt werden sollte.” (F. Benestad).