Cassatio D-Dur, Hob. deest | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Joseph Haydn

Cassatio D-Dur, Hob. deest

Cassatio D-Dur für Streicher und vier Hörner, Hob. deest

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 783

Satzbezeichnungen

1. Allegro moderato

2. Menuet – Trio

3. Adagio

4. Menuet – Trio

5. Finale. Allegro

Erläuterungen

Cassatio bzw. Kassation nannte man in der Wiener Klassik ein Divertimento, das im Freien aufgeführt wurde. Joseph Haydn hat in seiner frühen Zeit als Vizekapellmeister am Hof des ungarischen Magnaten Nikolaus von Esterházy eine ganze Reihe solcher Werke geschrieben. Sie zeigen – wie die D-Dur-Cassatio unseres Konzerts – den klassischen Aufbau des Wiener Divertimentos: zwei schnelle Ecksätze und zwei Menuette, die ein Adagio umschließen. Das Manuskript unserer Cassatio entdeckte der Haydn-Forscher Howard Robbins-Landon im Archiv des Grafen Christian Glam Gallas, der in den 1770er Jahren viele neue Werke Haydns aus Wien bestellte. Obwohl es weder in Haydns sog. Entwurf-Katalog noch im Hoboken-Verzeichnis der Werke Haydns vorkommt, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein echtes Werk. Zur Besetzung des Stückes mit Streichern und vier Hörnern bemerkte Robbins-Landon: „In der Esterházy-Kapelle hatte Haydn vier Hornisten zur Verfügung: einige D-Dur-Symphonien aus den Jahren 1761 bis 1765 ziehen alle vier Spieler heran (Nr. 13, 31 und 72). Bei zwei Symphonien (Nr. 31 und 72) handelt es sich um typische Jagd-Symphonien, die Anlage der vier Hörner ist jener unserer Cassation sehr ähnlich. Interessant für den Vergleich ist das Horn-Signal im 2. Menuett; Hoboken führt den Nachweis, daß es sich um einen kroatischen Hornruf handelt. Bemerkenswerter als die nationale Herkunft jedoch ist der Umstand, daß das Signal offensichtlich von Fürst Esterházy gekannt und verwendet wurde; wir finden es nämlich fast wörtlich im 1. Satz der Symphonie Nr. 31 wieder.“

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Obwohl Joseph Haydn ihre schöne Stadt nie besuchte, liebten die Pariser des Ancien Régime doch seine Sinfonien wie kaum eine andere Musik. Seit Mitte der 1770er Jahre sorgte es stets für volle Säle, wenn man „une nouvelle symphonie de Haydn“ aufs Programm setzen konnte.
Dies wusste auch der Chevalier de Saint-George, Frankreichs exzentrischster Geiger, ein in ganz Europa berühmter farbiger Virtuose, der dem Orchester der „Loge Olympique“ als Konzertmeister vorstand. Er empfahl seinen Direktoren 1784, bei Haydn sechs neue Sinfonien zu bestellen. Zwei Jahre später waren sie vollendet und sollten alsbald als „Pariser Sinfonien“ in die Geschichte eingehen.

Noch wurden ihre Uraufführungen an den Ufern der Seine bejubelt, da verkaufte sie ihr Schöpfer schon Gewinn bringend an die großen Verlage in Wien und London. Wie viel Geld mit diesen Stücken zu verdienen war, wusste Haydn nur zu gut. Einen Londoner Verleger, der sich darüber wunderte, dass die Konkurrenz dieselben Stücke bereits erhalten hatte, ließ er wissen: „So viel aber werden Sie von selbst einsehen, dass wer von mir 6 neue Stücke für sich allein besitzen will, mehr als 20 guinée spendieren muss.“ Auch die „olympische Loge“ verdiente an den Werken gutes Geld. Das stattliche Honorar, das man an Haydn gezahlt hatte, machten die Einnahmen aus den überfüllten Konzerten und die 1200 Francs aus dem Verkauf der Verlagsrechte in Frankreich mehr als wett. Eine neue Haydn-Sinfonie war für alle Beteiligten ein gutes Geschäft.

Dies lag an der Fülle der Überraschungen, dem „Witz“ im Sinne der Zeit, mit welchen der Komponist seine Sinfonien zu spicken beliebte. Nr. 86, die vorletzte des Zyklus, beginnt mit einer Idylle: Luftige hohe Klänge der Holzbläser, Hörner und Geigen über gezupften Saiten scheinen uns aufs Land zu entführen – für eine Sinfonie in der prächtigen Tonart D-Dur ein denkbar unerwarteter Einstieg. Den prachtvollen Einsatz der Pauken und Trompeten, den seine Zuhörer an dieser Stelle eigentlich erwarten durften, hat sich Haydn für Takt 8 aufgespart, die Pariser dann aber durch ein wildes Tremolo in Moll und durch Marschklänge aus ihrer festlichen Ruhe aufgeschreckt. Dass diese Sinfonie am Vorabend der Französischen Revolution, im brodelnden Paris des Jahres 1786, ihre Uraufführung erlebte, hört man der Musik an.

Überraschungen allenthalben, auch im folgenden schnellen Teil des Satzes. Statt mit rauschender Allegro-Heiterkeit setzen die Geigen auf einer zögerlichen Dissonanz ein. Die Frage, die sie stellen, wird von den Fanfaren des ganzen Orchesters nur vordergründig lärmend beantwortet. Immer wieder sinkt der Satz ins Zwielicht verschleierter Klänge zurück oder beißt sich an bedrohlichen Akkordballungen fest. Auf das pastoral anmutende zweite Thema folgt das Sturmgebraus wild bewegter Tremolo-Akkorde. Der Pulverdampf des Sturms auf die Bastille liegt gewissermaßen schon in der Luft.

Ruhig und feierlich entfaltet sich dagegen der langsame Satz. Über schreitenden Bässen setzen die Holzbläser in immer neuen überraschenden Harmonien ein, während die Geigen sich empfindsamer Melodik hingeben. Die zarten Dissonanzen im zweiten Teil nehmen schon den Haydn der „Schöpfung“ vorweg, während mehrere wilde Fortissimo-Stellen an die Ausbrüche des ersten Satzes gemahnen.

„Mit Pauken und Trompeten“ kommt das Menuett daher, zunächst eher stumpfsinnig in seinen Allerweltsfloskeln, dann aber voll überraschender Wendungen in Rhythmus und Harmonie. Ein waschechter Ländler für Fagott und Oboe über gezupften Saiten bildet das Trio.

Dass der Caen-Caen an den Ufern des Seine schon lange vor Jacques Offenbach erfunden wurde, beweist das Finale. Alles an diesem Satz ist frivoler Rhythmus. Die aufreizenden Tonwiederholungen des Hauptthemas nehmen immer orgiastischere Züge an, während sie sich im Seitenthema mit koketten kurzen Vorschlägen paaren. Freilich ist es ein Tanz auf dem Vulkan, wie so mancher krasse Ausbruch auch in diesem Satz verrät.