Streichquartett B-Dur, op. 50,1; Hob. III: 44 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Joseph Haydn

Streichquartett B-Dur, op. 50,1; Hob. III: 44

Quartett B-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 50,1; Hob. III: 44

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 826

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Adagio non lento

3. Menuetto

4. Vivace

Erläuterungen

Als im August 1786 Friedrich der Große starb, kam es in Berlin nicht nur zu einem Macht-, sondern auch zu einem Musikwechsel: Auf den Flötenspieler von Sanssouci, der fest am Geschmack seiner Jugendjahre, an Hasse und Graun festhielt, folgte sein Cello spielender Neffe Friedrich Wilhelm II., der jeder neuen Musik gegenüber aufgeschlossen war. Sofort setzten die großen Komponisten der Epoche Feder und Fantasie in Bewegung, um dem neuen Hohenzollern-Monarchen Kammermusik zu widmen, bevorzugt Streichquartette, in denen das königliche Cello einen prominenten Platz einnahm. Denn Friedrich Wilhelm hegte eine Vorliebe für die Kammermusik und hatte eigens Luigi Boccherini im fernen Madrid als Hofkomponist unter Vertrag genommen, damit er ihm regelmäßig neue Quartette und Quintette zusandte. Dies taten alsbald auch Joseph Haydn, dessen Schüler Ignaz Pleyel und Wolfgang Amadeus Mozart.

Eine Woche vor Weihnachten 1787 kündigten die Wiener Zeitungen das Erscheinen eines neuen Quartettopus von Haydn an – jenes Opus 50, das er dem neuen König von Preußen widmete. Für die Wiener Musikliebhaber reichten die wenigen Tage bis Heiligabend aus, um sich in den Auslagen der Musikgeschäfte das neue Opus anzusehen und es fürs häusliche Musizieren zu erwerben. Haydns Opus 50 dürfte in so manchem Wiener Palais, aber auch in Bürgerwohnungen das Weihnachtsfest 1787 verschönert haben. Dabei störte es keinen der habsburgischen Untertanen, dass auf dem Titelblatt der Quartette das Hohenzollernwappen prangte. Nach dem Tod Friedrichs des Großen, des Erzfeindes der Kaiserin Maria Theresia, war Preußen kein Tabu mehr. Deshalb konnten Komponist und Verleger folgende volltönende Widmung auf die Quartette setzen: Six Quatuors pour deux violons, alto et basse, composés et dediés à sa Majesté Frédéric Guillaume II, Roi de Prusse, par Joseph Haydn, Œuvre 50. („Sechs Quartette für zwei Violinen, Viola und Bass, komponiert und gewidmet seiner Majestät, Friedrich Wilhelm II., König von Preußen von Joseph Haydn“).

Ohne dass es der Wiener Verlag ahnen konnte, waren dieselben Quartette freilich schon wenige Wochen vorher in London erschienen, dort versehen mit einer Widmung an den Herzog von Cumberland. Haydn hatte das neue Opus angeblich „exklusiv“ an zwei Verleger gleichzeitig verkauft, wie er es so gerne zu tun pflegte. Auch Sieber in Paris interessierte sich dafür und erwirkte 1788 ein fünfjähriges Druckprivileg für das Opus. In Frankreich erschien das Werk zwar noch mit der Widmung an den König von Preußen, diese musste aber nach dem Sturm auf die Bastille geflissentlich entfernt werden. Preußen war vom befreundeten Staat des französischen Königreiches zum Kriegsgegner der französischen Republik geworden.

Nicht überall in Europa also galt Haydns Opus 50 als eine Serie von „Preußischen Quartetten“. Wie bei Pleyel und Mozart kann man den Bezug zum Widmungsträger in Berlin ohnehin nur an der partiell aufgewerteten Cellostimme erkennen. So hat Haydn das erste Quartett in B-Dur gleichsam demonstrativ vom Cello eröffnen lassen: Es geht mit leisen Vierteln auf dem tiefen B voran und gibt den Pulsschlag des gesamten Satzes vor, der in vielfachen Verwandlungen wiederkehrt. Darüber spielen die drei Oberstimmen zunächst nicht mehr als eine knappe Floskel Subdominante-Tonika, dolce überschrieben, gefolgt von kessen Staccato-Triolen. Beide Motive werden im Folgenden weiter entwickelt und immer wieder pointiert gegeneinander gesetzt. Die Ruhe des Dolce-Motivs kontrastiert wirkungsvoll mit der Nervosität der Triolen, was den gesamten, raffiniert entwickelten Satz in Sonatenform trägt. „Ein reicher und schöner Satz – aus einem thematischen Nichts.“ So hat Ludwig Finscher dieses Allegro charakterisiert.

Das Adagio non lento beginnt mit einer jener schlichten und ergreifenden
Siciliano-Melodien, die Haydn bis hin zur Schöpfung immer wieder auf entwaffnende Weise eingesetzt hat. Hier dient die Geigenmelodie in Es-Dur in der tiefen Lage als Variationenthema, das in der ersten Variation von der zweite Geige übernommen wird. Die zweite Variation wechselt überraschend nach es-Moll und zum Ausdruck verhaltenen, von bebenden Mittelstimmen getragenen Schmerzes. Wenn in der dritten Variation die erste Violine das Thema wieder in die Originaltonart und –lage versetzt, tritt das Cello mit virtuosen Figurationen hinzu. Haydn hatte den Cello spielenden König von Preußen nicht vergessen, wie sich auch in der knappen, aber dramatischen Coda des Satzes zeigt.

Auch im Menuett fällt dem Cello das Thema zu, nachdem es von der ersten Geige vorgestellt wurde. Es ist eines jener Haydn-Menuette, die so unschuldig klingen, gleichzeitig aber so raffiniert gegen den Takt verschoben sind, dass man unwillkürlich an Volksmusik denkt. Mit dem Staccato-Dreiklang der ersten Violine im Trio hat sich Haydn einen Scherz erlaubt.

Im Finale stimmt die erste Violine ein typisches, frohgemutes Haydn-Tanzthema an, hier im Rhythmus eines Rigaudon. Motor des Satzes ist der abwärts gerichtete Dreiklang, mit dem das Tanzthema beginnt – der charakteristische erste Takt des Rigaudon, der eine gleichsam anspringende, muntere Lebenfreude verbreitet. In mannigfachen Wandlungen kehrt dieses Kopfmotiv ständig wieder, unterlegt mit überraschenden Harmonie- und Klangwechseln. Wieder darf sich das königliche Cello am kontrapunktischen Spiel mit dem Kopfmotiv beteiligen. In der Durchführung erhält es sogar ein kurzes Solo in c-Moll (dolce), gefolgt von einer kleinen Kadenz der ersten Violine. Natürlich ist es ein königlicher Lauf des Cellos, der diesen prachtvollen Satz beschließt.