Streichquartett B-Dur, op. 9,5; Hob. III: 23 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Joseph Haydn

Streichquartett B-Dur, op. 9,5; Hob. III: 23

Quartett B-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 9,5; Hob. III: 23

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 830

Satzbezeichnungen

1. Poco Adagio

2. Menuetto – Trio

3. Largo cantabile

4. Presto

Erläuterungen

Joseph Haydn
Quartett B-Dur, op. 9,5

1769 veröffentliche der Verlag Hummel in Amsterdam „Six Quatuors à deux violons, taille et basse“, komponiert von einem gewissen „Giuseppe Haydn“. Ohne den Komponisten zu fragen, widmete der Verleger seine Ausgabe einem reichen holländischen Plantagenbesitzer in Paramaribo und wählte für die Serie die Opuszahl 7. Noch war der Komponist dieser Streichquartette zu wenig bekannt, als dass man auf seine Wünsche hätte Rücksicht nehmen müssen. Die Hummelsche Ausgabe (wie üblich in vier Einzelstimmen ohne Partitur) wurde rasch von den Verlegern in den beiden Weltstädten der Musik aufgegriffen: Longman in London druckte sie 1771 ebenfalls als Opus 7. Im Jahr darauf erschien die Pariser Ausgabe von Huberty, nun als Opus 9 – eine Zählung, die der Komponist übernahm.

Auf dem Titelblatt des Pariser Opus 9 konnte man immerhin erfahren, dass jener „Monsieur J. Haydn“ Kapellmeister beim Fürsten Esterházy war. Nach der Heirat das Dauphin mit der Österreicherin Marie-Antoinette musste man sich in Paris an die Namen der österreichisch-ungarischen Hocharistokratie gewöhnen. Da kamen Streichquartette eines Österreichers in Ungarn gerade recht, zumal Haydn schon mit diesen frühen Quartetten ein durchschlagender Erfolg gelang. Er hat das Opus 9 später als sein erstes vollgültiges Opus von Streichquartetten betrachtet.

Besonders beliebt war auf Anhieb das fünfte Quartett in B-Dur, und zwar wegen des Variationenthemas im ersten Satz. Dieses „Poco Adagio“ im Zweiertakt mit seinen einschmeichelnden Melodiebögen bleibt sofort im Ohr haften, besonders die Wendung des dritten und vierten Taktes. Der italienische Opernkomponist Giovanni Paisiello übernahm diese Wendung in eine seiner berühmtesten Arien, das Ständchen des Grafen Almaviva im „Barbier von Sevilla“. Gleich zwei Liedversionen des Themas erschienen im Druck: Der Londoner Verleger Preston druckte es als „Werter’s Sonnet“ in einer Sammlung von zwölf englischen Balladen. Ebenfalls mit englischem Text erschien die schöne Melodie auch bei Thomson in einer Sammlung von „Zwölf eleganten und bekannten Canzonetten“.

Im Original wird das schöne Thema vier Variationen unterzogen, an die sich eine kurze Coda anschließt. Für jede Variation ist die Dynamik des Themas verbindlich: Auf den leisen Beginn (vier Takte) folgt ein plötzliches Forte (zwei Takte), das am Ende des ersten Teils in ein „Diminuendo“ mündet (zwei Takte). Das Diminuendo am Ende einer Phrase eigens vorzuschreiben, war damals eine ganz neue Nuance. Auch der zweite Teil folgt dem Schema das ersten, weicht aber nach c-Moll aus, wodurch die ersten acht Takte im Piano verharren. Darauf folgen wieder zwei Takte Forte und das Diminuendo. Jeder der beiden Teile schließt mit einem besonders ausdrucksvollen Vorhalt. Diese langen Vorhalte bzw. Appoggiaturen verleihen dem Thema seinen zärtlichen Charakter, was man offenbar leicht mit dem Liebesleid von Goethes Werther in Verbindung bringen konnte. In der ersten Variation wird das Thema in expressiv geschwungene Sechzehntelbögen der ersten Violine aufgelöst, in der zweiten Variation wandert es in die zweite Geige, umspielt von Sechzehntel-Sextolen. Die dritte Variation bringt eine weitere rhythmische Beschleunigung durch Zweiunddreißigstel-Läufe der ersten Geige. In der vierten Variation kehrt das Thema scheinbar unverändert wieder, wird aber bei jeder Wiederholung variiert und dabei in lauter Seufzer aufgelöst. Das letzte Diminuendo mündet in einen ersterbenden Vorhalt im Pianissimo – Werthers Ende – Mitnichten, denn Haydn hat ein plötzliches Crescendo und vier ungestüme, laute Takte im Unisono angefügt – als ironische Brechung des gesamten Satzes. Haydn hätte über die Werther-Assoziation sicher nur geschmunzelt.

Schon der junge Haydn machte sich einen Spaß daraus, die regelmäßigen Proportionen im Menuett durcheinander zu bringen. Hier folgt das Menuett an zweiter Stelle, scheinbar ein schlichter, schöner Tanz mit jauchzenden Schleifern, der zunächst ganz regelmäßig verläuft, in lauter Viertaktern, wie es die Tänzer im Menuett erwarten durften. Im zweiten Teil aber bleiben zwei Takte überzählig in der Luft hängen, was selbst geübte Tänzer aus dem Tritt gebracht hätte. Das Trio besteht ganz regelmäßig aus zweimal acht Takten, wird aber durch Synkopen und Sforzati gleichsam „aus der Bahn“ geworfen.

Der dritte Satz zeugt von der lyrischen Schönheit, die der junge Haydn in vielen seiner langsamen Sätze ausgebreitet hat. Damals hatte er noch keine Scheu vor Pathos wie später in seinen häufig ironisch gebrochenen Andante-Sätzen. Vielmehr hat man es hier mit einem feierlichen Largo cantabile in Es-Dur zu tun, dessen Melodie im langsamen Dreiertakt sich mit ruhigem Pathos entfaltet. Der dichte vierstimmige Satz und die Fortspinnung des Themas in einem belebten Dialog aller vier Instrumente gemahnt an Mozarts reife Streichquartette. Plötzlich schwingt sich die erste Geige zu einem Solo in den höchsten Lagen auf – Zeugnis von Haydns geigerischen Fähigkeiten und seiner ganz aus dem Instrument heraus entwickelten Klangfantasie. Wieder münden beide Teile des schönen Satzes in einen Pianissimo-Schluss mit ausdrucksvollem Vorhalt, wie die beiden Hälften des Variationenthemas.

Ein quirliger Kehraus fegt das Pathos des langsamen Satzes hinweg. Dieses Presto im Tanzrhythmus mit seinen ungeduldigen Trommelbässen, dem „rauschenden“ Forte und dem Seitenthema in hoher Geigenlage mit seinen tückischen Trillern ist ein höchst amüsanter Satz, ein echtes „Divertissement“. Immerhin hat Haydn seine Quartette Opus 9 noch als „Divertimenti“ bezeichnet. Freilich: Auch dieser Satz schließt im Pianissimo, getreu dem Prinzip der beiden langsamen Sätze. Das Ganze könnte man leicht als Haydns „Diminuendo-Quartett“ bezeichnen.