Streichquartett C-Dur, op. 74,1; Hob. III: 72 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Joseph Haydn

Streichquartett C-Dur, op. 74,1; Hob. III: 72

Quartett C-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 74,1; Hob. III: 72

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 839

Satzbezeichnungen

1. Allegro moderato

2. Andantino grazioso

3. Menuet. Allegro – Trio

4. Finale. Vivace

Erläuterungen

Joseph Haydn komponierte die sechs Quartette seiner Opera 71 und 74 im Jahre 1793 und ließ sie zwei Jahre später parallel in London und Wien im Druck erscheinen. In beiden Ausgaben tragen sie eine Widmung an den Grafen Appónyi. Diesem Umstand verdanken sie ihren Beinamen “Appónyi-Quartette”.

Wie so manches andere Haydn-Quartett beginnt auch dieses mit einem Schluß. Nach zwei Takten könnte der Hörer eigentlich schon in die Pause gehen. Doch natürlich ist dieser Ganzschluß nur der Auftakt zu turbulenten Ereignissen, die im ersten Satz um das Hauptthema kreisen. Es handelt sich um eine ruhige Melodie in Halbenoten über einem Trommelbaß, deren Chromatik dem Komponisten Stoff genug für immer neue harmonische Beleuchtungen gab. So beruht auch das Seitenthema auf dem Hauptthema, kombiniert mit einer neuen, chromatischen Gegenstimme in der ersten Violine. Aus diesem Kontrapunkt und dem harmonisch immer kühner verfremdeten Thema bezieht die Durchführung ihre Spannung, die sich in der Reprise nicht löst. Denn hier wird das Haupthema zunächst in Engführung fugiert verarbeitet, dann in einem kühnen Trugschluß nach As-Dur versetzt. Aus diesem, durch Sechzehntelfiguren unterstrichenen Höhepunkt entwickelt sich die kontrapunktisch raffinierte Coda.

Der zweite Satz ist kein Andante cantabile oder Variationensatz, wie so häufig bei Haydn, sondern ein unschuldiges Allegretto grazioso, dessen simples Thema im Dreiertakt in einfachster Periodik abläuft. Sein Volksmusik-Charakter wird durch die Satztechnik nobiliert: Es ist so raffiniert auf die vier Instrumente verteilt und mit Begleitfiguren angereichert, daß der Eindruck kunstvoller “durchbrochener Arbeit” entsteht. Der ganz simple harmonische Verlauf fordert Überraschungen natürlich geradezu heraus. Sie finden sich in der Durchführung, die nach Es-Dur moduliert, und in der Coda, in der das Thema plötzlich nach cis-Moll gerückt wird.

Das Menuetto – Allegro hat Scherzo-Charakter. Die harmonischen Überraschungen des zweiten Satzes wiederholen sich hier in noch krasserer Form (As-Dur, b-Moll, c-Moll), und der Rhythmus wird, wie oft bei Haydn, gegen den Takt verschoben. Umso simpler, als einfacher Ländler in A-Dur, kommt das Trio daher.

Das Finale hat ein tänzerisches Thema im Zweiertakt, das man in seinen Ursprüngen schon bis zu Telemann zurückverfolgen kann. Es wird zunächst in zwei verschiedenen Artikulationen (Zweier- und Dreierbindungen bzw. Staccato) vorgestellt, anschließend fugiert, danach chromatisch, schließlich über einem Bordunbaß verarbeitet. In der Durchführung wird sein kontrapunktisches Potential weiter ausgeschöpft, wobei es zum Streit zwischen Synkope und schwerer Taktzeit kommt. An Vitalität kann sich dieses Finale durchaus mit Haydns berühmtesten “Volksmusik”-Finali wie etwa im G-Dur-Klaviertrio oder in der Sinfonie Der Bär messen.