Streichquartett C-Dur, op. 76,3; Hob. III: 77 ("Kaiserquartett") | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Joseph Haydn

Streichquartett C-Dur, op. 76,3; Hob. III: 77 ("Kaiserquartett")

Quartett C-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 76,3; Hob. III: 77 („Kaiserquartett“)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 840

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Poco adagio (cantabile)

3. Menuetto. Allegro – Trio

4. Finale. Presto

Erläuterungen

„Vor einigen Tagen war ich wieder bei Haydn. Bei dieser Gelegenheit spielte er mir auf dem Clavier vor, Violinquartette, die ein Graf Erdödi für 100 Dukaten bei ihm bestellt hat und die erst nach einer gewissen Anzahl von Jahren gedruckt werden dürfen.“ Diesem Bericht des schwedischen Musikfreunds Silverstope ist zu entnehmen, mit welcher ungebrochenen Inspiration der 65jährige Haydn im Juni 1797 an seinem bedeutensten Quartettzyklus arbeitete, der tatsächlich erst nach zwei Jahren exklusiver „Nutzung“ durch den Grafen Erdödy als Opus 76 gedruckt wurde.

Leider berichtete Silverstope nicht, warum Haydn als Variationen-hema für das C-Dur-Quartett ausgerechnet seine kurz zuvor entstandene „Kaiserhymne“ verwendete. Dem Quartett bescherte dies den Beinamen Kaiserquartett, während das gesamte Opus 76 nach dem Auftraggeber Erdödy-Quartette heißt.

Als Eigenart dieser letzten Serie von Quartetten, die Haydn vollendete, gilt einerseits die quasi-sinfonische Anlage der schnellen Sätze, andererseits die Tiefgründigkeit der Adagios. In den Allegros herrscht jener Geist der Überraschung, des „Witzes“ im Sinne des 18. Jahrhunderts, den Haydn in seinen „Londoner Sinfonien“ auf die Spitze getrieben hatte. In den Londoner Konzertsälen hatte er auch beobachten können, wie seine Streichquartette bei einem breiten Publikum „ankamen“. Diese Erfahrung ermutigte ihn, die Quartette Opus 76 noch effektvoller, dramatischer und „sinfonischer“ anzulegen als alle seine früheren Quartettzyklen.

Dunkle Schatten legten sich über dieses Vorhaben. Wie alle Zeitgenossen war Haydn tief erschüttert von den Ereignissen der Revolutionskriege 1795-1798. Im Gegensatz zu Mozart hatte er als Kind die Schrecken des Österreichischen Erbfolgekrieges miterlebt, und diese Erfahrung saß tief. Die neuerlichen Niederlagen Österreichs gegen die Truppen des revolutionären Frankreich lösten in ihm einen Schock aus, den er nicht nur in seinen späten Messen verarbeitete. So wie die Paukenmesse eine „Missa in Tempore Belli“ und die Nelsonmesse eine „Missa in angustiis“ ist, so wirkt auch manches Stück in den Quartetten Opus 76 wie Kammermusik in Zeiten des Krieges und in Zeiten der Not. Neben mancher erschreckenden Mollwildheit ist es die Tiefgründigkeit der Adagios, die diese andere Seite des späten Haydn offenbart.

Vielleicht liegt darin auch der Grund für die Verwendung der Kaiserhymne. Haydn hatte gespürt, wie spontan die Menschen auf diese Melodie und ihren Text reagiert hatten. In den ätherischen Harmonien des Quartetts verwandelt sie sich in ein Gebet – nicht für den Kaiser, sondern für den Frieden in Österreich.

Der erste Satz des Quartetts suggeriert ungetrübte Unternehmungslust: Das Hauptthema, in vier kurze, prägnante Phrasen gegliedert, ist so vital wie nur irgendeines von Haydn. Mit diesen vier thematischen Bällen spielt der Satz in einer so virtuosen Weise, als gäbe es für das „Dribbling“ mit musikalischen Motiven keine Fantasiegrenzen. Kontrapunktische Auffächerung, kleine feine Dialoge und scheue Moll-Zurücknahmen wechseln sich mit frei-strömenden Melodien oder bärbeißigem Festhaken ab. Auf dem Höhepunkt der Durchführung landet das Thema unversehens auf einem ungarischen Tanzboden, während es sich in der schnellen Coda in ein beethoveneskes Klangspiel verwandelt.
Die Variationen über die Kaiserhymne sind ein Musterbeispiel an Ökonomie: Auf das vierstimmig vorgestellte Thema folgen ein Geigenduett, ein tiefes Trio und erst danach das volle Quartett, wobei das Thema wie ein Cantus firmus durch die Stimmen wandert. Die zu Beginn wunderbar einfache Harmonik wird sukzessive mit Halbtönen angereichert, bis man in der Coda mit ihren sich von oben herabsenkenden Geigenstimmen fast glauben könnte, der Himmel habe Haydns Gebet erhört.

Das Menuett, eines der gesanglichsten, die der Tanz-Trick-Künstler Haydn geschrieben hat, geht fast ohne Rhythmus-Falltüren seinen Weg fröhlich-singend durch eine österreichische Landschaft, an die man auch im schlichten, liedhaften Trio denken könnte.

Der Wechsel nach c-Moll, den das Trio andeutet, kostet das Finale weidlich aus. Es beginnt mit wild-dreinfahrenden c-Moll-Akkorden, die im Laufe des Satzes ihren Rang als „Thema“ immer wieder gegen mildere Episoden behaupten. Die wilde Triolenjagd, die Haydn davor entfesselt, bleibt bis zum Schluss Motor des Satzes, dem jeder Zug zum unschuldigen „Kehraus“ fehlt.

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Dem alten Joseph Haydn war die heutige deutsche Nationalhymne, damals die „Kaiserhymne“, angeblich das Liebste, was er jemals geschrieben hatte. Die spontane Begeisterung der Österreicher für das patriotische Lied, das die Nation angesichts der allerorten siegreichen französischen Revolutionstruppen zusammenschweißte, nährte in Haydn die Überzeugung, hier zum Herzen der gesamten Bevölkerung gesprochen zu haben. Im Medium Streichquartett löste sich das schöne Thema vom „Gott erhalte Franz, den Kaiser“ und damit auch von Franz I., einer der unsympathischsten Figuren aus dem Hause Habsburg-Lothringen. Von vier Streichern gespielt, wurde es zum Keim eines großen C-Dur-Werkes, Haydns Opus 76 Nr. 3.

„Vor einigen Tagen war ich wieder bei Haydn. Bei dieser Gelegenheit spielte er mir auf dem Clavier vor, Violinquartette, die ein Graf Erdödi für 100 Dukaten bei ihm bestellt hat und die erst nach einer gewissen Anzahl von Jahren gedruckt werden dürfen.“ Diesem Bericht des schwedischen Musikfreunds Silverstope ist zu entnehmen, mit welcher ungebrochenen Inspiration der 65jährige Haydn im Juni 1797 an seinem bedeutensten Quartettzyklus arbeitete, der tatsächlich erst nach zwei Jahren exklusiver „Nutzung“ durch den Grafen Erdödy als Opus 76 gedruckt wurde. Leider berichtete Silverstope nicht, warum Haydn als Variationen-thema für das C-Dur-Quartett ausgerechnet seine kurz zuvor entstandene „Kaiserhymne“ verwendete. Dem Quartett bescherte dies den Beinamen Kaiserquartett, während das gesamte Opus 76 nach dem Auftraggeber Erdödy-Quartette heißt.

Als Eigenart dieser letzten Serie von Quartetten, die Haydn vollendete, gilt einerseits die quasi-sinfonische Anlage der schnellen Sätze, andererseits die Tiefgründigkeit der Adagios. In den Allegros herrscht jener Geist der Überraschung, des „Witzes“ im Sinne des 18. Jahrhunderts, den Haydn in seinen „Londoner Sinfonien“ auf die Spitze getrieben hatte. In den Londoner Konzertsälen hatte er auch beobachten können, wie seine Streichquartette bei einem breiten Publikum „ankamen“. Diese Erfahrung ermutigte ihn, die Quartette Opus 76 noch effektvoller, dramatischer und „sinfonischer“ anzulegen als alle seine früheren Quartettzyklen.

Dunkle Schatten legten sich über dieses Vorhaben. Wie alle Zeitgenossen war Haydn tief erschüttert von den Ereignissen der Revolutionskriege 1795-1798. Im Gegensatz zu Mozart hatte er als Kind die Schrecken des Österreichischen Erbfolgekrieges miterlebt, und diese Erfahrung saß tief. Die neuerlichen Niederlagen Österreichs gegen die Truppen des revolutionären Frankreich lösten in ihm einen Schock aus, den er nicht nur in seinen späten Messen verarbeitete. So wie die Paukenmesse eine „Missa in Tempore Belli“ und die Nelsonmesse eine „Missa in angustiis“ ist, so wirkt auch manches Stück in den Quartetten Opus 76 wie Kammermusik in Zeiten des Krieges und in Zeiten der Not. Neben mancher erschreckenden Mollwildheit ist es die Tiefgründigkeit der Adagios, die diese andere Seite des späten Haydn offenbart.

Vielleicht liegt darin auch der Grund für die Verwendung der Kaiserhymne. Haydn hatte gespürt, wie spontan die Menschen auf diese Melodie und ihren Text reagiert hatten. In den ätherischen Harmonien des Quartetts verwandelt sie sich in ein Gebet – nicht für den Kaiser, sondern für den Frieden in Österreich und ganz Europa.

Der erste Satz des Quartetts suggeriert ungetrübte Unternehmungslust: Das Hauptthema, in vier kurze, prägnante Phrasen gegliedert, ist so vital wie nur irgendeines von Haydn. Mit diesen vier thematischen Bällen spielt der Satz in einer so virtuosen Weise, als gäbe es für das „Dribbling“ mit musikalischen Motiven keine Fantasiegrenzen. Kontrapunktische Auffächerung, kleine feine Dialoge und scheue Moll-Zurücknahmen wechseln sich mit frei-strömenden Melodien oder bärbeißigem Festhaken ab. Auf dem Höhepunkt der Durchführung landet das Thema unversehens auf einem ungarischen Tanzboden, während es sich in der schnellen Coda in ein beethoveneskes Klangspiel verwandelt.

Die Variationen über die Kaiserhymne sind ein Musterbeispiel an Ökonomie: Auf das vierstimmig vorgestellte Thema folgen ein Geigenduett, ein tiefes Trio und erst danach das volle Quartett, wobei das Thema wie ein Cantus firmus durch die Stimmen wandert. Die zu Beginn wunderbar einfache Harmonik wird sukzessive mit Halbtönen angereichert, bis man in der Coda mit ihren sich von oben herabsenkenden Geigenstimmen fast glauben könnte, der Himmel habe Haydns Gebet erhört.

Das Menuett, eines der gesanglichsten, die der Tanz-Trick-Künstler Haydn geschrieben hat, geht fast ohne Rhythmus-Falltüren seinen Weg fröhlich-singend durch eine österreichische Landschaft, an die man auch im schlichten, liedhaften Trio denken könnte.

Der Wechsel nach c-Moll, den das Trio andeutet, kostet das Finale weidlich aus. Es beginnt mit wild-dreinfahrenden c-Moll-Akkorden, die im Laufe des Satzes ihren Rang als „Thema“ immer wieder gegen mildere Episoden behaupten. Die wilde Triolenjagd, die Haydn davor entfesselt, bleibt bis zum Schluss Motor des Satzes, dem jeder Zug zum unschuldigen „Kehraus“ fehlt.

Quartett C-Dur, op. 76,3 „Kaiserquartett“

Hätte Joseph Haydn geahnt, welche ungeheuren Bürden seine unschuldige „Kaiserhymne“ einmal zu tragen haben würde, er hätte die Melodie vielleicht weniger inbrünstig geliebt. Sie war der ganze Trost seiner späten Jahre, die er sich am Klavier immer wieder vorspielte. Gerade im Schicksalsjahr 1809, in den Monaten vor seinem Tod, war dies ein Akt der Selbstbehauptung, auch gegen Napoleon und die Feinde Österreichs. „Eine Niederlage mit Ehre“ nannte der alte Haydn dem Schauspieler Iffland gegenüber seinen körperlichen Verfall. Österreichische Niederlagen „mit Ehre“ hatten seine Hymne „Gott erhalte Franz den Kaiser“ hervor gerufen, die er im Oktober 1796 komponierte, um sie den Kriegswirren der Zeit entgegen zu setzen.

Fast gleichzeitig arbeitete er das Lied in sein berühmtes „Kaiserquartett“ ein, das dritte von insgesamt sechs Streichquartetten, mit denen er 1796 sein Quartettschaffen krönte: „Vor einigen Tagen war ich wieder bei Haydn. Bei dieser Gelegenheit spielte er mir auf dem Clavier vor, Violinquartette, die ein Graf Erdödy für 100 Dukaten bei ihm bestellt hat und die erst nach einer gewissen Anzahl von Jahren gedruckt werden dürfen.“ So berichtete der schwedische Musikfreund Silverstope von einem Besuch bei Haydn in Wien. Wie schon die Opera 71 und 74 durfte auch das nachmalige Opus 76 erst nach zwei Jahren exklusiver „Nutzung“ durch den Grafen Erdödy erscheinen, weshalb auch dieser Zyklus zu einem Namen kam: „Erdödy-Quartette“. Es mag ein später Tribut an seine langjährige Wahlheimt Ungarn gewesen sein, dass Haydn seine späten Quartette ausschließlich ungarischen Adligen widmete.

Den Schritt des Streichquartetts von der intimen Kammer in den Konzertsaal hatte Haydn schon mit dem „Reiterquartett“ und seinen Schwesterwerken von 1793 vollzogen. Erprobt hatte er ihre Wirkung beim zweiten Londoner Aufenthalt in den großen Konzersälen der Metropole, wo sich seine Quartette gegen seine eigenen Sinfonien hatten behaupten müssen. Dieses „Sinfonische“ färbte nun nach der Rückkehr aus London auf seine neuen Quartette ab: Sätze wie der Kopfsatz des „Kasierquartetts“ sind an Breite der Entwicklung und Fülle des Klangs durchaus mit den „Londoner Sinfonien“ zu vergleichen.

Daneben künden diese Werke aber auch von den düsteren Zeitläuften der „Revolutionskriege“, in die Österreich tief verstrickt war. Was Haydn ab 1795 in seinen sechs späten Messen mithilfe des geistlichen Textes zum Ausdruck brachte, das sagte er in seinen sechs großen Quartetten von 1796 ohne Worte: Bitte um Beistand, Sorge um die Menschen und die Nation sprechen aus den düsteren Mollsätzen dieser Quartette und aus den himmlischen Adagios. Im „Kaiserquartett“ findet sich Beides: wundervolle, quasi religiöse Variationen über die „Kaiserhymne“ als langsamer Satz, ein schroffes, dramatisches Finale in c-Moll als Abschluss.

Der erste Satz beginnt noch gleichsam tatenfroh: mit einem typischen Haydn-Thema, das auch eine Londoner Sinfonie hätte eröffnen können. Es ist in vier ganz knappe und einprägsame Motive gegliedert. Mit diesen vier thematischen Bällen jonglierte Haydn in virtuoser Weise: Kontrapunktische Auffächerung, kleine feine Dialoge und scheue Moll-Zurücknahmen wechseln sich mit frei strömenden Melodien oder bärbeißigem Festhaken ab. Auf dem Höhepunkt der Durchführung landet das Thema unversehens auf einem ungarischen Tanzboden, während es sich in der schnellen Coda in ein beethoveneskes Klangspiel verwandelt.

Die Variationen über die „Kaiserhymne“ leben von der schlichten Schönheit des Themas und seiner gleichsam „reinen“ Harmonien, aber auch vom klugen Aufbau. Auf das vierstimmige Thema folgen nacheinander: ein Duett der beiden Geigen, ein Trio in tiefer Lage, dann das volle Quartett. Dabei wandert das Thema wie ein Cantus firmus durch die Stimmen. Die Harmonien werden dabei immer chromatischer, bis sich in der Coda die Geigen wie eine himmlische Stimme von oben hören lassen. Zweifellos glaubte Haydn, dass der Herr seine innigen Gebete jener Jahre um Beistand „in tempore Belli“ erhören würde.

Das Menuett ist einfacher und gesanglicher gehalten als viele Sätze dieses Typus beim trickreichen Haydn. Umso wilder fährt der Beginn des Finales dem Zuhörer in die Glieder: Es ist eine wilde Jagd in Triolen, die sich ganz im Gegensatz zum Finale des „Reiterquartetts“ niemals wirklich aufhellt – ein unmissverständliches Zeugnis für die Nöte der Zeit, die Haydn in diesem Finale „in angustiis“ auskomponiert hat.