"Kinderszenen", op. 15 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Robert Schumann

"Kinderszenen", op. 15

„Kinderszenen“ für Pianoforte, op. 15

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1777

Satzbezeichnungen

1. Von fremden Ländern und Menschen

2. Curiose Geschichte

3. Hasche-Mann

4. Bittendes Kind

5. Glückes genug

6. Wichtige Begebenheit

7. Träumerei

8. Am Camin

9. Ritter vom Steckenpferd
10. Fast zu ernst
1
1. Fürchtenmachen
1
2. Kind im Einschlummern
1
3. Der Dichter spricht

Erläuterungen

Im Gegensatz zu seinem bewunderten Freund Mendelssohn fand ROBERT SCHUMANN erst spät zur Kammermusik. Auf Jahre des Komponierens ausschließlich für Klavier folgte 1841 zunächst das berühmte „Liederjahr“ mit seinen 138 Liedern und Gesängen, dann 1842 das sogenannte „Kammermusikjahr“, in dem Schumann seine drei Streichquartette op. 41, das Klavierquintett und Klavierquartett und seinen ersten Versuch in der Gattung Klaviertrio komponierte, jenes op. 88, das unser Konzert beschließt.
Der Beginn dieser kammermusikalischen Neigungen ging auf das Jahr 1838 zurück, als er seiner Verlobten Clara Wieck schrieb: „Das Klavier wird mir zu enge, ich höre bei meinen jetzigen Kompositionen oft noch eine Menge Sachen, die ich kaum andeuten kann, namentlich is es sonderbar, wie ich fast alles kanonisch erfinde…“ Clara reagierte skeptisch auf Roberts Ankündigung, er wolle Quartette schreiben, und faßte ihr Mißtrauen in die Frage, ob er denn überhaupt für Streichinstrumente zu schreiben verstünde. Ihrer Gedankenwelt, die Robert spöttisch mit der eines „Dresdener Fräuleins“ verglich, entsprachen eher die Kinderszenen für Klavier, die ebenfalls 1838 entstanden.
Schumann bezeichnete sie als „Rückspiegelungen eines Älteren für Ältere“, grenzte sie also von Stücken für Kinder bewußt ab. Seiner Verlobten kündigte er sie in folgender Weise an: „Was ich noch componirt, war wie ein Nachklang von Deinen Worten, einmal wo Du mir schriebst ich käme Dir auch manchmal wie ein Kind vor – Kurz, es war mir ordentlich wie im Flügelkleid und hab da an die 30 kleine putzige Dinger geschrieben, von denen ich ihrer zwölf auserlesen und ‚Kinderscenen‘ genannt habe. Du wirst Dich daran erfreuen, mußt Dich aber freilich als Virtuosin vergeßen – Da sind denn Überschriften wie Fürchtenmachen – Am Camin – Hasche Mann – Bittendes Kind – Ritter vom Steckenpferd – Von fremden Ländern – Curiose Geschichte pp. und was weiß ich! Kurz man sieht Alles und dabei sind sie leicht zum Blasen.“
Die Auswahl aus den ursprünglich 30 Stücken hat Schumann unter zyklischen Aspekten getroffen. Zweimal zwei Stücke sind thematisch verwandt: Nr. 1 und Nr. 4, sowie Nr. 5 und das Schlußstück. Außerdem gibt es ein eindeutiges Zentrum: die Nr. 7, Träumerei, das erste Stück in einer B-Tonart, das längste – und berühmteste – der 13.

2000
ROBERT SCHUMANN:
Kinderszenen, op. 15

Von Theodor W. Adorno stammt die Behauptung, Schumann sei unter den großen Komponisten derjenige gewesen, der „musikalisch den Gestus des sich Erinnerns, nach rückwärts Schauens und Hörens entdeckte“. Seine Kinderszenen sind Ausdruck einer solchen Rückschau in Tönen. Schumann selbst bezeichnete sie als „Rückspiegelungen eines Älteren und für Ältere“, als Darstellung der Kinderwelt aus der Perspektive des Erwachsenen. Ihre Entstehung im Mai 1838 fiel in eine Zeit familiärer Hoffnungen. Der Komponist glaubte, er könne sich in Wien eine Existenz gemeinsam mit Clara aufbauen. Man hat die Kinderstücke deshalb als Vorwegnahmen künftiger Vaterfreuden verstanden, was zu vordergründig gedacht ist. Schumanns „Rückspiegelungen“ sind nichts anderes als eine Rückprojektion der ewigen Sehnsucht des Romantikers in die verlorene Welt der Kindheit, die Kinderszenen ein im tiefsten Sinne romantischer Klavierzyklus. In einem Brief an Clara hat Schumann sein Abgehobensein von der Welt mit dem Wesen eines Kindes verglichen: „Was ich noch componirt, war wie ein Nachklang von Deinen Worten, einmal wo Du mir schriebst ich käme Dir auch manchmal wie ein Kind vor – Kurz, es war mir ordentlich wie im Flügelkleid und hab da an die 30 kleine putzige Dinger geschrieben, von denen ich ihrer zwölf auserlesen und Kinderscenen genannt habe. Du wirst Dich daran erfreuen, mußt Dich aber freilich als Virtuosin vergeßen – Da sind denn Überschriften wie Fürchtenmachen – Am Camin – Hasche Mann – Bittendes Kind – Ritter vom Steckenpferd – Von fremden Ländern – Curiose Geschichte pp. und was weiß ich! Kurz man sieht Alles und dabei sind sie leicht zum Blasen.“

Die Auswahl aus den ursprünglich ungefähr 30 Stücken hat Schumann unter zyklischen Gesichtspunkten getroffen. Zweimal zwei Stücke sind thematisch verwandt: Nr. 1 Von fremden Ländern mit Nr. 4 Bittendes Kind, Nr. 5, Glückes genug, mit dem letzten Stück. Außerdem gibt es ein Zentrum: die Träumerei, das erste Stück in einer B-Tonart und das längste der zwölf.

Was die scheinbare Einfachheit der Stücke betrifft, hat sich diesbezüglich an der Träumerei eine ästhetische Kontroverse entzündet. Hans Pfitzner benutzte das Stück, um in seiner Schrift Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz die Schönberg-Schule zu diffamieren. Man schwebe bei so einer Melodie „ganz in der Luft“, behauptete er, sie entziehe sich der verhassten rationalen Deutung von Musik. Alban Berg widerlegte diesen antiintellektuellen Standpunkt und lieferte den Beleg dafür, dass die Einfachheit des Stückes gerade das Ergebnis größter Kunstfertigkeit ist, was ebenso auch für die anderen Kinderszenen gilt. Allein die vielfältigen Formen, die delikaten Schlussbildungen und die Handhabung des Rhythmus tragen dazu bei, dass man – mit Schumann zu reden – „alles sieht“, was die Überschriften andeuten.